Weihrauch erlebt ein Comeback: Von der Anbetung des Göttlichen zum Beauty-Trend

Er duftet nach Weihnachten und weckt Kindheitserinnerungen. Weihrauch kann Schmerzen dämpfen und die Haut beruhigen. Der heilige Rauch steckt nun in Crèmes und Luxusparfums.

Ein festlicher katholischer Gottesdienst ohne Weihrauchschwaden, die sich in den Haaren festsetzen und deren holzig-würzigen, leicht zitronigen Duft man dann nach Hause mitnimmt, das wäre nur die halbe Freude. Wohlduftende Rauchschwaden, die mit den Klängen von «Stille Nacht» gen Himmel schweben – es sind auch solche romantischen wie beruhigenden Kindheitserinnerungen, die Weihnachten besinnlich machen.
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Weihrauch und Weihnachten sind sowieso untrennbar miteinander verwoben: Laut der biblischen Überlieferung war er eines der Geschenke der drei Weisen aus dem Morgenland für das neugeborene Jesuskind. Der Dreiklang aus Gold-Weihrauch-Myrrhe macht klar: Weihrauch ist etwas Wertvolles, Göttliches, Königliches.

In den letzten Jahren wurden die Anwendungen profaner. Die Beauty- und Wellness-Industrie hat den Weihrauch entdeckt. Weltweit werden Produkte für rund eine Milliarde Dollar verkauft. Crèmes, Öle oder Kapseln mit Weihrauch werden gegen allerlei Beschwerden und für die äussere wie innere Schönheit angeboten. In Parfums sorgt er für würzig-erdige Komponenten.
Boswellia-Bäume enthalten das vielseitig einsetzbare HarzWeihrauch ist das Harz der Boswellia-Bäume. Diese wachsen nur in heissen Gegenden mit ein bisschen Luftfeuchtigkeit in Indien, im Süden der Arabischen Halbinsel sowie am Horn von Afrika oder im Sudan. Die Bäume sind knorrige Gewächse mit papierartiger Rinde, die tagein, tagaus tapfer unter der Wüstensonne ausharren. Überleben ist hart, schon kleine Schäden an der Rinde können grosse Probleme bereiten. Denn dann droht Austrocknung, und Schädlinge können eindringen.
Doch die Natur hat Boswellia-Bäume mit einem besonderen Schutz ausgestattet. Sobald kleine Schäden in der Rinde entstehen, wird die Wunde sofort mit austretendem Harz verschlossen. Und dieses Harz nutzen Menschen vieler Religionen seit Jahrtausenden für Zeremonien sowie als traditionelle Medizin.

Im heutigen Oman begegnen einem Weihrauchfahnen auf Schritt und Tritt – auch ohne Weihnachten. Schwaden wabern durch die Hotellobby. Vor vielen Geschäften im Souk oder auch Restaurants stehen tönerne Schalen mit schwelendem Harz, und der duftende Rauch hüllt die Gäste ein. Angenehmer Nebeneffekt: Das übertüncht die Gerüche des benachbarten Fischstandes.
Weihrauch kann nicht nur Wohlgeruch verbreiten. Er kam auch als Insektizid zum Einsatz. Früher, als es noch keine Waschmaschinen und Reinigungen gab, wurden die Kleider in Oman sowie den angrenzenden Emiraten regelmässig in Weihrauchschwaden geschwenkt.
Weihrauch wirkt entzündungshemmendEine medizinische Wirkung wird speziellen Inhaltsstoffen des Harzes zugeschrieben. Diese heutzutage als Boswelliasäuren charakterisierten Substanzen gelten als entzündungshemmend. Zudem sollen sie Menstruationsbeschwerden lindern oder Krebswucherungen schrumpfen lassen. Traditionell werden die gummiartigen Kügelchen gekaut. Ein Selbstversuch ergibt: Das ist eine zähe Angelegenheit. Und der Geschmack ist, nun ja, kein Gourmeterlebnis.
In Zellkulturversuchen haben Boswelliasäuren tatsächlich verschiedene Komponenten des Immunsystems auf verschiedene Arten gedämpft. In kleinen Studien haben sie Zahnfleischentzündungen gebessert, anhaltende Durchfälle bei chronischen Darmentzündungen gestoppt oder die Schmerzen bei Gelenkerkrankungen reduziert. Bei Hirntumoren konnten Boswelliasäuren als zusätzliches Medikament bei einigen Betroffenen die Antitumorwirkung der Bestrahlung und Chemotherapie verbessern.
Nahrung für Wildbienen und KameleWeihrauch wird nach wie vor nur von wildwachsenden Boswellia-Bäumen gewonnen. In Oman stehen diese im Süden in der Region Dhofar rund um Salalah, wie zufällig verstreut in der rötlich-grauen Erde. Sie sind hier ein wichtiger Teil des Ökosystems. Sie spenden Tieren Schatten und schützen den Boden vor Erosion. Ihre gelblichen Blütchen stehen auf dem Speisezettel von Wildbienen. Halbwilde Kamele knabbern die dunkelgrünen, festen Blättchen weg.
Für die Weihrauchernte wird die Rinde des Baumes angeritzt. Hier ist neben einem scharfen gebogenen Messer auch Fingerspitzengefühl nötig. Der Schnitt darf auf keinen Fall zu tief sein, sonst blutet der Baum aus. Auch sollte ein Baum nur einige wenige Schnitte hinnehmen müssen.

Das austretende Harz ist ein weisslich-milchiger, zähflüssiger Sirup. Die kleinen Perlen bleiben für einige Tage am Baum kleben. Sie trocknen und härten dabei etwas aus. Dann werden sie abgeschnitten. Die beim ersten Ritzen austretenden Tropfen seien noch nicht besonders gut, sagen Kenner. Denn sie enthalten geringe Mengen der begehrten Inhaltsstoffe. Nach einigen Wochen wird daher die Ernteprozedur wiederholt. Das nun austretende Harz ist wertvoller. Auch der Standort des Baumes entscheidet über die Qualität des Harzes.
Weihrauch hat Oman im Altertum reich und bedeutend gemacht. Jahrhundertelang war er das wichtigste Exportprodukt – bis das Erdöl entdeckt wurde. Auf Kamelrücken wurden Säcke voller Weihrauchbröckchen an die Mittelmeerküste transportiert und von dort nach Rom verschifft. Auch in China wurde omanischer Weihrauch bei religiösen Zeremonien oder zur Huldigung der Könige und Kaiser verwendet.
Gefährdet am Horn von Afrika – gesund in OmanDer neue Beauty-Kult um Weihrauch hat eine Kehrseite. In Somalia, Eritrea und Äthiopien gelten Boswellia-Bäume mittlerweile in vielen Regionen als vom Aussterben bedroht. Neben dem Verlust an Lebensraum ist die Übernutzung das Hauptproblem. Es wird zu oft und insgesamt unsachgemäss Harz geerntet. Ein Baum sollte erst ab einem Alter von acht Jahren angezapft werden. Und nach zwei bis drei Jahren mit Harzernten sollte er ähnlich lange ruhen dürfen – um wieder zu Kräften zu kommen.
Aber die Menschen am Horn von Afrika sind meist arm. Weihrauch ist eine ihrer wenigen Einkommensquellen. Allerdings verdienen das meiste Geld nicht die Bauern, sondern die Händler sowie europäische oder amerikanische Firmen, die daraus Seifen, Öle oder Parfum herstellen.

Den Boswellia-Bäumen in Oman geht es noch gut. Vergangenes Jahr hat ein internationales Forscherteam die Region Dhofar besucht. In nahezu allen untersuchten Gebieten gebe es keine Anzeichen für eine besorgniserregende Abnahme der Boswellia-Bäume, schreiben die Forscher in ihrer Publikation. Man habe zudem überall ausreichend junge Bäumchen gefunden.
In Oman bedroht allerdings mancherorts die zunehmende Zahl von halbwilden Kamelen und herumstreifenden Kuhherden die Weihrauchbäume. Die Forscher plädieren daher dafür, vermehrt Areale mit Boswellia-Bäumen unter Schutz zu stellen und einzuzäunen. Auch eine Plantagenwirtschaft sei denkbar. Im Sultanat werden bereits Boswellia-Bäume, die dem Strassenbau oder Steinbrüchen weichen müssen, in Naturschutzgebiete umgesiedelt.
nzz.ch




