Grunzen, Krächzen oder Quaken: was akustische Muster in Tiersprachen verraten

Können wir Menschen verstehen, was Tiere einander zu sagen haben? Ja, zumindest teilweise, meinen Biologen. Das gilt auch in umgekehrter Richtung: Wenn wir sprechen, lesen Tiere unsere Gefühle.

In der Welt der Sagen und Mythen haben Menschen und Tiere keinerlei Probleme, sich miteinander zu verständigen: Dem nordischen Göttervater Wotan etwa tragen jeden Morgen die zwei Raben Hugin und Munin zu, was in der Welt passiert. Und den Predigten des heiligen Franziskus von Assisi lauschten nicht nur Menschen mit grosser Andacht, sondern der Legende nach auch Vögel und Wölfe.
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Am anderen Ende der Skala steht die Überlegung, dass das gegenseitige Verständnis zwischen Mensch und Tier grundsätzlich begrenzt ist. So schrieb etwa der Philosoph Thomas Nagel in seinem berühmten Aufsatz «What Is It Like to Be a Bat?», dass uns unüberbrückbare Unterschiede von allen anderen Tierarten trennen: Man könne schon versuchen, sich vorzustellen, den ganzen Tag kopfüber in einem Dachboden zu hängen und die Umgebung mittels reflektierter Hochfrequenztöne wahrzunehmen. Doch zu wissen, wie es für eine Fledermaus sei, eine Fledermaus zu sein, bleibe uns trotzdem verwehrt.
Dieser grundlegende Einwand hält zahlreiche Wissenschafterinnen und Wissenschafter freilich nicht davon ab, zu erforschen, wie Tiere miteinander kommunizieren. Oft gelingt es den Forschenden dank ausgeklügelten Versuchen sogar, die Botschaften in den tierischen Rufen zu entschlüsseln. Dabei tritt eine verblüffende Tatsache ans Licht: Das Quaken eines Froschs, das Röhren eines Hirschs oder das Brüllen eines Löwen sind stärker mit unserer menschlichen Sprache verbunden, als viele von uns vermuten würden.
Alarmrufe der ErdmännchenWenn es unmöglich ist, zu wissen, was im Kopf eines Tiers passiert – wie lassen sich dann überhaupt Aussagen darüber treffen, was es beim Ausstossen eines Lautes mitteilen will? «Das ist eine spannende Frage. Sie kommt in unserer Forschung immer wieder auf», sagt Marta Manser vom Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften der Universität Zürich. «Wir müssen uns vor einer Überinterpretation unserer Resultate hüten.»
Schon seit dreissig Jahren untersucht Manser das Verhalten von Erdmännchen. Das sind putzige Säugetiere, die in den Wüstengebieten im Süden Afrikas Kolonien von bis zu fünfzig Tieren bilden. Um zu verstehen, was sie sich jeweils mitzuteilen hätten, müsse man nicht nur genau hinhören, um die verschiedenen Rufe – sowie die Rufer – voneinander unterscheiden zu können, sondern auch die Situation beobachten, in der sich die Tiere jeweils befänden, erklärt die Expertin.
Wie Manser mit ihren Kolleginnen und Kollegen in jahrelanger Arbeit herausgefunden hat, verwenden Erdmännchen zum Beispiel eine Vielzahl von unterschiedlichen Alarmrufen, um die anderen Mitglieder in der Gruppe vor Räubern zu warnen. Dabei unterscheiden die Erdmännchen unter anderem, ob sich der Fressfeind auf dem Boden oder in der Luft befindet.
Das ergibt Sinn, weil sich die Tiere je nach Gefahrenlage anders in Sicherheit bringen. Ist ein Greifvogel in Sicht, suchen die Erdmännchen ein naheliegendes Schutzloch auf, um sich möglichst rasch zu verstecken. Nähert sich hingegen ein Schakal, ziehen sich die Erdmännchen gemeinsam in ihre meist weiter entfernte Höhle zurück, wo es mehrere Ausgänge und also Fluchtwege hat.
Kommunikation in ihre Einzelteile zerlegenDoch wie weiss Manser, dass die Töne, die sie etwa als Alarmruf für einen Schakal beschrieben hat, von den Erdmännchen tatsächlich in diesem Sinn verwendet werden? Um zu so einem Schluss zu gelangen, muss die Forscherin die Kommunikation in ihre Einzelteile zerlegen – und sich also getrennt anschauen, was jeweils beim Versenden und Empfangen einer Nachricht geschieht.
Aus diesem Grund haben Manser und ihr Team mit zwei verschiedenen Versuchen untersucht, in welchen Situationen die Erdmännchen eine bestimmte Botschaft aussenden – und welches Verhalten diese Botschaft auslöst, wenn sie von anderen Erdmännchen gehört wird.
So schickten die Forschenden einerseits einen ausgestopften Schakal auf Rädern in Richtung von Futter suchenden Erdmännchen los. Wie man sich das vorzustellen hat, zeigt ein sehenswerter Beitrag auf BBC. Dabei nahmen die Verhaltensbiologen mit Mikrofonen auf, was für Laute die Tiere ausstiessen, als sie die vermeintlich drohende Gefahr entdeckten. In einem weiteren Versuch gaben die Biologen diese Warnrufe mit Lautsprechern anderen Erdmännchen zu hören – und beobachteten, wie die Tiere darauf reagierten.
Andere Forschungsgruppen haben mit ähnlichen Versuchen die Kommunikation von Elefanten, Fledermäusen, Vögeln und vielen weiteren Tieren zerlegt und entschlüsselt. In der Summe haben diese Anstrengungen zu einer Erkenntnis geführt, die – zumindest auf den ersten Blick – ziemlich überrascht.
Egal ob ein Tier bellt, knurrt, brabbelt oder pfeift: Aus der Art und Weise, wie es sich äussert, lässt sich seine Gefühlslage ablesen. So geben Tiere in kämpferischen Auseinandersetzungen zum Beispiel tiefere und barschere Laute ab, als wenn sie ihr Gegenüber beruhigen und beschwichtigen.
Aus der Stimme hören Tiere auch, wenn ein Junges in Not ist. So wiesen in einer vielbeachteten Studie Forschende vor elf Jahren nach, dass sich Hirschkühe in Richtung der Lautsprecher bewegen, wenn sie Junge von anderen Tierarten um Hilfe rufen hören. Auch dem Geschrei von menschlichen Babys nähern sie sich (siehe Video).
Susan Lingle und Tobias Riede
Umgekehrt gelingt es auch uns Menschen, die emotionale Dringlichkeit aus den unterschiedlichsten Tierlauten herauszuhören. Das gilt nicht nur für Äusserungen von nah verwandten Tierarten wie etwa Makaken, sondern auch für die Rufe von Vögeln, Fröschen und Alligatoren, wie Forschende vor einigen Jahren berichteten. Daraus schlossen sie: Offenbar wird der emotionale Gehalt in diesen Rufen durch universelle akustische Muster übermittelt.
Heute wäre sie in ihrer Wortwahl etwas vorsichtiger, meint Piera Filippi, die Erstautorin der Studie. «Unsere Untersuchung umfasste neun Arten aus allen vier Klassen der Landwirbeltiere, also Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere.» Damit hätten sie einen ersten wichtigen Schritt getan, um die Allgemeingültigkeit der akustischen Muster nachzuweisen. Sie wünscht sich grössere Studien mit noch mehr Arten, damit der Befund ausgebaut und weiter gefestigt werden kann.
In zwei anderen Fachbeiträgen hat Filippi ausformuliert, wie diese akustischen Muster mit der Entwicklung der menschlichen Sprache zusammenhängen könnten. In vereinfachter Form besagt ihre Hypothese, dass sich die Fähigkeit, mit der Stimme Emotionen zu transportieren, schon früh in der Evolution der Landlebewesen herausgebildet habe. Dabei stehen musikalische Aspekte wie die Tonlage und der Rhythmus im Vordergrund.
Wenn es zum Beispiel spannend oder heikel wird, schraubt sich die Stimme nach oben. Und sie gewinnt dabei an Tempo. Solche Modulationen in der Stimme passieren unwillkürlich, nicht nur bei Tieren, sondern auch bei uns Menschen, und zwar unabhängig davon, welche Sprache wir sprechen.
Verwandtschaftliche VerbindungenWahrscheinlich knüpften auch musikalische Melodien an diesen uralten akustischen Code an, um Gefühle auszudrücken, sagt Filippi. In der Entwicklung der menschlichen Sprache war am Anfang nicht das Wort, sondern offenbar eine Art Singsang. Er erlaubte es unseren Urahnen, anderen mit ihren präverbalen Lauten mitzuteilen, wie sie sich fühlten. Erst viel später lernten ihre Nachkommen, Wörter zu bilden und sie mit einem mehr oder weniger abstrakten Sinn aufzuladen.
Vor diesem Hintergrund erscheint auch unsere Sprachfähigkeit in einem anderen Licht. Sie macht uns zwar unbestrittenermassen einzigartig unter allen Tierarten. Unseren sprachlich geäusserten Gedanken folgen kann kein anderes Tier. Doch was neben und zwischen den Worten in unserer Sprache mitschwingt, scheint aufgrund unserer Stammesgeschichte allen Landwirbeltieren zugänglich zu sein. Unsere verwandtschaftlichen Verbindungen könnten erklären, warum wir andere Tiere – und sie uns – bis zu einem gewissen Grad verstehen.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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