Wehrpflicht-Zoff: Jetzt kommen die Details ans Licht, warum Pistorius explodierte

Der Wehrdienst-Kompromiss zwischen Union und SPD platzte in letzter Minute. Zuvor soll es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Verteidigungsminister Pistorius und einer Parteifreundin gekommen sein. Die beiden haben eine Vorgeschichte.
Der Kompromiss zwischen Union und SPD zum neuen Wehrdienst ist am Dienstagabend in letzter Minute geplatzt. Zuvor gab es mehreren Medienberichten zufolge heftige Diskussionen in der Fraktionssitzung der Sozialdemokraten. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung standen laut "The Pioneer" zwei alte Bekannte: Verteidigungsminister Boris Pistorius und die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Siemtje Möller.
Möller hatte in den vergangenen Wochen mit dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD, Falko Droßmann, und den beiden Unionskollegen Norbert Röttgen und Thomas Erndl einen Kompromiss ausgehandelt. Der sah unter anderem vor, dass Pistorius den Personalbedarf der Bundeswehr bis 2035 definieren soll. Der Minister soll zudem halbjährlich berichten, ob die Bundeswehr die Rekrutierungsziele erreicht oder nicht. Verfehlt die Bundeswehr die Personalziele, soll per Losverfahren entschieden werden, wer verpflichtend gemustert wird.
Für dieses Verhandlungsergebnis kritisierte Pistorius seine Parteifreundin Möller in der Fraktionssitzung am Dienstag scharf, berichtet "The Pioneer". Der Hintergrund: Der Minister soll am Montag Teil der Verhandlungsrunde gewesen sein und den Kompromissvorschlag abgelehnt haben. Als Pistorius weg war, soll sich Möller über seine Bedenken hinweggesetzt und dem Deal mit der Union zugestimmt haben.
Die beiden SPD-Politiker kennen sich gut: Möller war in der vergangenen Legislaturperiode Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium. Sie startete zunächst unter Ministerin Christine Lambrecht. Nachdem diese zurückgetreten war, wurde Möller als mögliche Nachfolgerin gehandelt. Schließlich kam Pistorius in das Amt, Möller blieb auf ihrem Posten.
Nach dem Regierungswechsel in diesem Jahr – bei dem Pistorius aber Verteidigungsminister blieb – wurde Möller aus dem Ministerium entfernt. Stattdessen wurde sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Ihre Zuständigkeit liegt aber weiterhin beim Thema Verteidigung.
Bei der Fraktionssitzung am Dienstag soll sich Pistorius "geradezu sarkastisch" über seine Parteifreundin geäußert haben, schreibt "The Pioneer". "So äußert man sich nicht über die eigene stellvertretende Fraktionsvorsitzende", sagte ein Fraktionskollege später dem Medium.
Pistorius sieht sich aber nicht als Bremser beim Wehrdienstgesetz. "Ich torpediere nicht und ich bin auch nicht destruktiv", sagte er dem "Tagesspiegel". Er habe nur gewisse Schwierigkeiten damit, dass "zwei elementare Stellen meines Gesetzentwurfes geändert werden, bevor dieser überhaupt offiziell in den Bundestag eingebracht worden ist". Zudem soll Pistorius verfassungsrechtliche Bedenken beim Losverfahren haben.
Wie der "Spiegel" berichtet, könnte das aber unbegründet sein. Die Union hat beim ehemaligen Verfassungsrichter Udo di Fabio ein Gutachten in Auftrag gegeben, das diesen Punkt prüft. Das Papier kommt zum Schluss, dass das Losverfahren zulässig wäre: „Der Prozess der Auslosung gewährleistet diese Gleichheit, weil alle die gleiche Chance haben oder Nicht-Chance, gezogen zu werden.“
Für Pistorius könnte der Streit um den neuen Wehrdienst zum Problem werden. Bislang konnte der Verteidigungsminister sehr gute Beliebtheitswerte verzeichnen, viele lobten ihn für seine pragmatische Anpacker-Mentalität. Dieses Bild könnte nun beschädigt werden, wenn das geplante Gesetz sich weiter verzögert. Sinken daraufhin die Beliebtheitswerte, könnte das auch mögliche Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur 2029 ausbremsen.
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