Annabelle von Oeynhausen empfiehlt im September: Pinnow? Bad Saarow? Hauptsache Kunst!

Am Scharmützelsee werden neue Filme vorgeführt, in der Uckermark Ausstellungen aufgebaut – und dann ist da ja auch noch die Art Week in Berlin: Die Tipps unserer Kolumnistin.
Kunst, Kultur und Kulinarik – damit kennt sich Annabelle von Oeynhausen bestens aus. Nicht nur in ihrer Wahlheimat Berlin, auch in zahlreichen anderen Städten dieser Welt fahndet sie nach den besten Adressen: Die Kunsthistorikerin und Unternehmerin organisiert mit ihrer Agentur Annabelle’s Choice exklusive Kunstreisen – und plant auch für Sie in dieser neuen Kolumne jeden Monat vor.
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Schwer liegt die Architektur über dem Hügel in Dahlem, wuchtiger Stein, strenge Symmetrie, schallende Leere. Das ehemalige Offizierskasino der NS-Luftwaffe, später Hauptquartier der US-Armee, wirkt wie ein Überbleibsel aus einer anderen Welt – und genau das macht es für mich zum perfekten Ort für eine Ausstellung wie diese.
Seit 2019 wird das Gebäude von dem Unternehmer Markus Hannebauer und seiner Frau als Fluentum betrieben; ein privat initiiertes Ausstellungshaus mit klarer Haltung: zeitbasierte Medien, große Erzählungen, tiefgreifende Reflexionen. Das Sammlerehepaar verfolgt ein in Deutschland seltenes Modell – es sammelt nicht nur, sondern beauftragt Medienkunst, die Künstlerinnen und Künstler in ihrer Recherche und Umsetzung begleitet.

Mit „Dissonance“ zeigt Fluentum nun die erste institutionelle Einzelausstellung der US-Künstlerin Jordan Strafer in Deutschland. Sie verwandelt das Gebäude in ein surreales Talkshow-Studio – irgendwo zwischen Gerichtssaal, Fernsehbühne und Geisterwelt. Strafer verwebt in ihrer Trilogie „Loophole“ seit 2023 Drehbuchfragmente, Nachrichtenbilder, Gerichtsakten und Reality-TV zu einem intensiven Vexierspiel über Macht, Trauma und mediale Inszenierung.
Der neue, für Fluentum produzierte Film wird bei der Eröffnung am 10. September live vor Publikum gedreht, mit dem legendären Jim Fletcher. Zwei Teile der Trilogie werden erstmals als fortlaufender Film gezeigt, ergänzt durch Skulpturen und ein detailreiches Set im Look einer 90er-Jahre-Talkshow. Eine dichte, eigenwillige Arbeit über Schuld, Spektakel und Sichtbarkeit – und ein starkes Statement dafür, was möglich ist, wenn Sammlerinnen und Sammler nicht nur schauen, sondern handeln.
Dissonance. Vom 11. September bis 13. Dezember im Fluentum. Clayallee 174, 14195 Berlin. Do-Fr 11-17 Uhr, Sa 12-18 Uhr. www.fluentum.org
2. Filmfestival in Bad Saarow: Streifen am ScharmützelseeUnd nochmal Film: Während in Dahlem unwirkliche Videoarbeiten gezeigt werden, findet in Bad Saarow das jährliche Filmfestival statt. Vier Tage Kino, Literatur und Austausch – eingebettet in eine Landschaft, die schon beim Ankommen entschleunigt. Zwischen alten Bäumen, dem Schilf am Ufer und spätsommerlichem Licht wird Bad Saarow im September zum 13. Mal zum Schauplatz von „Film ohne Grenzen“. Das Festival ist ein Geheimtipp für alle, die Film als Erlebnis begreifen – klug kuratiert, nahbar, mit Haltung, aber ohne Pathos.
Gespielt wird an zwei Orten: in der Kulturscheune des Eibenhofs, malerisch gelegen auf der Halbinsel am Scharmützelsee, und im Cinema by Velotel, nur wenige Minuten vom Bahnhof entfernt. Das diesjährige Motto „Alles Mensch!“ rückt unser Menschsein in den Mittelpunkt – in einer Zeit, in der Polarisierung, Krisen und Kontrollverlust viele Debatten bestimmen. Was verbindet uns, was trennt uns? Was bedeutet Verantwortung, was Mitgefühl?

Das Festival, so finde ich, greift diese Fragen mit einem guten Mix aus Dokumentar- und Spielfilmen auf – ergänzt durch Lesungen, Diskussionsformate und persönliche Einblicke der Filmschaffenden. Schon der Eröffnungsabend setzt ein Zeichen, das mir gefällt: Gezeigt wird die Vorpremiere von „Hannah Arendt – Denken ist gefährlich“, eine Hommage an die große Denkerin, deren Ideen zu Freiheit, Verantwortung und Zivilcourage aktueller nicht sein könnten. Ergänzt wird die Premiere durch eine Rede der Germanistin Barbara Hahn; ein starker Auftakt für ein Festival, das auch Demokratie als Haltung begreift.
Zu den weiteren Gästen zählen die Schauspielerin Laura Tonke, die in gleich zwei Produktionen zu sehen sein wird, sowie die Bestsellerautorin Katja Oskamp, die aus „Marzahn, mon amour“ liest, gefolgt von einem Serienscreening mit Jördis Triebel. Auch Christian Berkel kommt zum traditionellen Sonntagstalk, um mit Gero von Boehm über Identität und Herkunft zu sprechen. Die Filme „Mit der Faust in die Welt schlagen“, „Bad Shabbos“, „Winter adé“, „Hallo Stranger“ – das Programm reicht von wuchtig bis wunderbar schräg. Aber was dieses Festival für mich wirklich so besonders macht, ist die Atmosphäre: Die idyllische Natur, der spürbare Idealismus und die Nähe zu den Menschen auf und vor der Leinwand. Und plötzlich weiß man wieder, warum Kino etwas verändern kann.
Film ohne Grenzen. Vom 11. bis 14. September in der Kulturscheune des Eibenhofs, Alte Eichen 33, 15526 Bad Saarow, und im Cinema by Velotel, Ulmenstraße 2, 15526 Bad Saarow. Das komplette Programm und Tickets unter www.filmohnegrenzen.de
3. Kunstfestival in der Uckermark: Was ist eigentlich Wasser?Auch in der Uckermark möchte ich ihnen ein Festival empfehlen – dieses ist allerdings eher ein offenes Labor für Kunst, Musik und Literatur. Am 6. und 7. September lädt das UM Festival in die sanft hügelige Landschaft rund um Fergitz und Pinnow bei Gerswalde. Das Thema in diesem Jahr: „Wasser“ – Lebenselixier, Ressource, Symbol und künstlerischer Ausgangspunkt für zwei Tage voller Begegnungen und Ideen.
Zwischen Scheune und See entfalten sich Performances, Installationen, Lesungen und Musikbeiträge, die sich wie Wellen über das Gelände legen; leise, tief und oft überraschend. Der Sound variiert von Stunde zu Stunde: mal flirrend elektronisch, mal minimalistisch, mal chorisch getragen. Wer sich im umfangreichen Programm nicht verlieren will, folgt meines Erachtens am besten drei Namen, die herausragen – und sehr unterschiedlich zum Wasser-Thema beitragen.

Gudrun Gut, Grande Dame der Berliner Subkultur, lässt mit dem UmTon Chor die Landschaft erklingen, zwischen elektronischer Klangkunst und poetischer Geste. Robyn Schulkowsky, eine Percussion-Legende, bringt indes mit den Gebrüdern Teichmann das Feld zum Beben. Und die Autorin Annett Gröschner, deren Werke oft als „Reiseführer durch den Osten“ oder als „Spaziergänge im Sinne Theodor Fontanes“ beschrieben werden.
Und dann ist da noch Jackie la Mermaid alias Jackie Asadolahzadeh, Performancekünstlerin, Tänzerin und Autorin. Bekannt ist sie aus dem Berliner Nachtleben, dem TIP-Stadtmagazin oder als Kolumnistin des Buches „Apple zum Frühstück“. Auf dem UM Festival schlüpft sie in die Rolle der wissbegierigen Meerjungfrau Jaculin; an den Hörstationen rund um den Wrietzensee und auf der Bühne in Pinnow stellt sie die wirklich wichtigen Fragen: Was ist eigentlich Wasser? Wie kommt das Salz hinein? Und was macht es mit unserem Denken, Fühlen, Glauben?
Zwischen Wissenschaft und Fantasie, Bildung und Bewegung lädt Jackie la Mermaid ein zur charmanten Wissenserweiterung für Neugierige, Familien, Philosophinnen und Philosophen, Kinder – und alle, die schon immer mal von einer Meerjungfrau schlauer gemacht werden wollten.
UM Festival. 6. und 7. September an verschiedenen Orten in Fergitz und Pinnow in Brandenburg. Das komplette Programm und Tickets unter www.um-festival.de
4. Glasvasen von Moonarij: Grüße aus dem AllVom Wasser geht’s in meinem nächsten Tipp sozusagen an Land: Stellen Sie sich vor, ein Himmelskörper wäre auf der Erde gelandet – nicht als Meteorit, sondern als Vase. So wirken die neuen „Space Jars“, die das Berliner Label Moonarij gemeinsam mit dem Schweizer Künstler Kaspar Müller entwickelt hat. Jedes Stück ist ein handgeblasenes Unikat, so individuell wie eine Planetenoberfläche: schimmernd, geriffelt, gespiegelt, von Säure gezeichnet oder farbig beschichtet.
Jedes „Space Jar“ ist weder bloßes Gefäß noch reine Skulptur, sondern etwas Drittes – ein Zwischenwesen aus Funktion und Fantasie. Die Oberflächen der Vasen erinnern an vulkanisches Gestein, glitzernden Sternenstaub oder sedimentierte Farbwolken. Was wie Science-Fiction klingt, ist in Wahrheit das Ergebnis präziser Glaskunst auf höchstem Niveau –das sieht und spürt man auch.

Johanna von Wichelhaus, die Gründerin von Moonarij, wuchs in Kairo auf, geprägt vom Bild der Wasserträgerinnen mit Tonkrügen auf dem Kopf. Ihre bisherigen Vasenentwürfe, entstanden ab 2022 in Berlin, sind verspielt, leicht, oft japanisch inspiriert, echte Alltagsfreunde aus Glas. Doch mit den „Space Jars“ schlägt sie ein neues Kapitel auf.
Kaspar Müller, bekannt für seine anarchischen Lichtobjekte aus Fundstücken, bringt Kontrast ins Spiel: Das Sanfte trifft auf das Rohmaterial, das Verspielte aufs Konzeptuelle. Gemeinsam mit dem Team von Brooklyn Glass in New York entstand eine Serie auf ästhetisch internationalem Niveau, aber handwerklich tief verwurzelt. Ein Projekt, das zeigt, dass Glaskunst nicht nostalgisch sein muss, um kostbar zu wirken.
Space Jars von Moonarij. Für je 2800 Euro erhältlich etwa bei Marsano, Charlottenstraße 75, 10117 Berlin oder online unter www.moonarij.com
5. Café in Mitte: Bravo!Zuguterletzt, bloß nicht vergessen: In den kommenden Wochen ist auch Art Week! Und wer während der Kunstveranstaltung zwischen dem 10. und 14. September nach einem Epizentrum sucht, landet unweigerlich im Innenhof der Kunst-Werke Berlin. Hier, in einer ehemaligen Margarinefabrik, hat das KW Institute for Contemporary Art seit den 1990ern sein Zuhause gefunden. Und mittendrin thront das Café Bravo – ein architektonisches Kunstwerk, das längst selbst zur Legende geworden ist.

Zwischen den klassizistischen Fassaden, unter Bäumen, die schon bei der Gründung der KW gepflanzt wurden, findet man Ruhe vor dem Berliner Tempo. Wer morgens kommt, bevor das Museum öffnet, erlebt eine fast private Idylle; wer abends bleibt, wenn die Ausstellungsräume schließen, lässt entspannt den trubeligen Tag mit einem Aperitif ausklingen. Dazwischen strömen Museumsbesuchende und Touristen in den Innenhof, diskutieren Kunst, trinken Espressi.
Das Café selber ist in einem Pavillon des amerikanischen Konzeptkünstlers Dan Graham untergebracht, realisiert nach Plänen der Architektin Johanne Nalbach und 1999 eröffnet. Eine Konstruktion aus grünlich-silbernem Spiegelglas und poliertem Stahl. Der Zauber dieses Baus liegt in der Transparenz: Wer davor sitzt, sieht nie nur sich selbst, sondern immer auch die anderen – verzerrt, vervielfältigt, gebrochen. Und wer innen im Glaspavillon sitzt, ist immer noch Teil des Außen, aber doch auch geschützt. Außen wird Innen, Beobachter werden Beobachtete. Hier treffen sich Künstlerinnen, Sammler, Kuratorinnen und Flaneure, hier wird gelacht, verhandelt und gefeiert.
Café Bravo. Auguststraße 69, 10117 Berlin. Mi-Mo 10-20 Uhr. www.kw-berlin.de
Berliner-zeitung