Radiohead-Tour 2025: Comeback nach 7 Jahren – Begeisterung und Boykottaufrufe begleiten die Rückkehr

Sieben satte Jahre dauerte die Bühnenabstinenz von Radiohead, der letzte Auftritt der Briten war das Finale der „A Moon Shaped“-Pool-Tour am 1. August 2018 in Philadelphia gewesen. 25 Songs wurden dargeboten, als Kehraus „Karma Police“: „I lost myself, I lost myself” sangen zehntausende Fans weltvergessen mit Thom Yorke im Wells Fargo Center. Dann gingen Radiohead verloren.
Mit einer Tour hatte ernsthaft niemand mehr gerechnet, als dieser Tage die Nachricht einschlug. Radioheads letztes Studioalbum „A Moon Shaped Pool“ liegt schon endlose neun Jahre zurück. Und die bisherigen Nachrichten aus dem Jahr 2025 deuteten ebenfalls darauf hin, dass die Band zum Museumsbetrieb geworden war, dass eine der wagemutigsten Gruppen, die Rock, Pop und experimentelle Extravaganzen mühelos verband, nur noch ihr Vermächtnis verwaltete.
Sänger Thom Yorke hatte das Album „Hail to The Thief“ von 2003 für eine „Hamlet“-Inszenierung der Royal Shakespeare Company neu aufgearbeitet, die im April ihre Premiere hatte. Im Mai erschien ein Album von Yorke mit dem Electromusiker Mark Pritchard, im August – vorerst digital, ab 31. Oktober auch auf Tonträger – ein Livealbum zum „Hamlet“ mit „Thief“-Songaufführungen aus den Jahren 2003 bis 2009. Und in Oxford öffnete im August eine Ausstellung über die (Cover-)Kunst der Band ihre Pforten.
Klang alles toll, aber zugleich auch ziemlich nach „alles vorbei“. Für die Band, die sechs Grammys gewann. Die 2019 in die „Rock’n’Roll Hall of Fame“ aufgenommen wurde. Die für das US-amerikanische Musikmagazin „Rolling Stone“ (RS) zu den „100 besten Künstlern/Bands aller Zeiten“ zählt.
Sag niemals nie wieder. Jetzt gehen Yorke (Gesang, Gitarre, Klavier), Jonny Greenwood (Gitarre, Keyboards), Colin Greenwood (Bass), Ed O’Brien (Gitarre, Gesang) und Philip Selway (Schlagzeug) auf eine Tour des bequemen Residence-Modells: Am morgigen Freitag (5. September) läuft zwischen 11 und 22 Uhr die Ticketregistrierung für 20 Shows in fünf europäischen Städten auf Radiohead.com.
Nur wer registriert ist, hat eine Chance, beim für den 12. September verkündeten Ticketverkauf berücksichtigt zu werden. Bots und Schwarzmarkthändler sollen so außen vor bleiben. Zu vermuten steht, dass die Konzerte ausverkauft sein werden, bevor man dreimal „Pablo Honey“ sagen kann.
Und wer dann das Glück gehabt haben wird, Karten bekommen zu haben, muss auch gar nicht mehr lange warten: Schon am 4. November, also in exakt zwei Monaten, betreten Radiohead zum Tourauftakt die Bühne der Movistar Arena in Madrid. Es folgen je vier Konzerte in Italien, London und Kopenhagen. Nach Berlin kommen die Briten schließlich kurz vor dem Christkind – vom 8. bis 12. Dezember in der Uber Arena.
Die Nachricht von den Konzertplänen kam zunächst im Radiohead-Subreddit auf der Plattform Reddit auf: Ein fassungsloser Zufallsfinder („Das scheint echt zu sein?“) postete einen Flyer, auf den er am Dienstag in Kopenhagen gestoßen war, wie die Onlineausgabe des Wochenmagazins „Die Zeit“ berichtete. Darauf standen die Daten von vier Dänemarkkonzerten. Anfangs herrschte noch Unsicherheit – hatte sich da jemand einen Scherz erlaubt?
Dann aber tauchten die gleichen Zettel in London und Berlin auf. Der Berlin-Flyer war neben dem Eingang der Alten Nationalgalerie platziert worden – aufrecht, als hätte ihn da jemand „hingelehnt“. Das Museum Radiohead schüttelte nur kurz den Staub ab und bestätigte die Echtheit der Daten am Mittwoch auf ihrer Homepage.
Radiohead-Schlagzeuger Philip Selway über Proben der Band im Vorjahr
Von einem guten Bandgefühl ist die Rede. „Letztes Jahr sind wir zum Proben zusammengekommen, einfach nur zum Spaß. Nach sieben Jahren Pause fühlte es sich wirklich gut an, die Songs zu spielen und die Verbindung zu einer musikalischen Identität wiederherzustellen, die tief in uns allen verankert ist“, verkündete Philip Selway in einer Botschaft an die Fans. „Das hat uns auch dazu gebracht, einige Shows zusammen spielen zu wollen. Also hoffen wir, dass ihr es zu einem der kommenden Termine schafft.“
Gespeist werden diese Konzerte aus nur neun Alben seit 1993, das Werk der 1985 in Oxfordshire gegründeten Band ist schmal. Als Meisterwerk im Oeuvre gilt nach wie vor ihr Alternative-Rock-Progpop-Monster „OK Computer“ von 1997. Und das Stück der Band, das jeder kennt, und das anfangs fälschlicherweise dem aufkommenden Britpop zugeschlagen wurde, ist wohl ihre erste Single „Creep“ aus dem Herbst 1992, ein lärmiger, zugleich anmutiger Song über einen Menschen, der sich außerhalb der Gesellschaft sieht und im Angesicht der Schönheit zerbricht.
Platz 7 in Großbritannien, 34 in den US-Billboard-Charts, 40 in Deutschland. Der dunkle Tearjerker ist längst ein Klassiker, unendlich oft gecovert – von Prince bis Olivia Rodrigo: „I wish, I was special / You’re so fucking special…“
Für Radiohead, die ihre Setlist von Abend zu Abend deutlich abwandeln, scheint „Creep“ nur ein Song wie jeder andere. Auf den 76 Shows der „Moon Shaped Pool“-Tour wurde er nur 18-mal gespielt. Andere erfolgreiche Singles erlebten mehr Aufführungen – „Paranoid Android“ (53), „There There“ (44) oder „Karma Police“ (42). Aber das „Give the people what they want“-Versprechen bezieht sich bei dieser Band nur auf ein großartiges Konzert. Greatest Hits? Vergiss es!
Die Begeisterung unter den Fans ist groß, hatte Yorke doch noch im Vorjahr gegenüber einem australischen Radiosender deutliches Desinteresse an einem Comeback gezeigt. Allerdings kam auch ein Boykottaufruf – und zwar schon vor der offiziellen Bestätigung der Tour.
Das gegen Israel gerichtete transnationale Boycott, Divestment and Sanctions Movement (BDS), im Verfassungsschutzbericht von 2023 als extremistischer Verdachtsfall geführt, sieht seine Aktion als Antwort auf den Auftritt von Jonny Greenwood mit seinem israelischen Kollegen Dudu Tassa am 26. Mai 2024 in Tel Aviv, wie die Onlineausgabe des „Guardian“ am Donnerstag berichtete.
Greenwood hatte laut der britischen Tageszeitung 2024 auch an Protesten in Israel teilgenommen, bei denen sowohl die Absetzung von Premier Benjamin Netanjahu gefordert wurde als auch die Freilassung der israelischen Geiseln der Hamas.
„Selbst wenn nun Israels Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen seine jüngste, brutalste und verdorbenste Phase der künstlich herbeigeführten Hungersnot erreicht, setzen Radiohead ihr mitschuldiges Schweigen fort“, heißt es in dem Instagram-Post des BDS, „während eines der Mitglieder wiederholt unsere Streikpostenkette durchbricht und nur eine kurze Autofahrt von einem live übertragenen Völkermord entfernt, zusammen mit einem israelischen Künstler auftritt, der die völkermordenden israelischen Streitkräfte unterhält“.
Und weiter: „Wir Palästinenser erneuern unseren Aufruf zum Boykott von Radiohead-Konzerten, einschließlich der angeblichen Tournee, bis sich die Gruppe zumindest überzeugend von Jonny Greenwoods Durchbrechen unserer friedlichen Streikpostenkette während des Völkermords Israels an den Palästinensern im Gazastreifen distanziert.“
Thom Yorke hatte schon 2017 ein Canceln des Radiohead-Konzerts im Tel Aviver Park Hayarkon ausgeschlossen, und darauf verwiesen, dass das Auftreten in einem Land nicht gleichzusetzen sei mit der Unterstützung von dessen Regierung.
Ed O'Brien, Radiohead-Gitarrist, über die Haltung der Band zum Krieg in Gaza
Und im Juli dieses Jahres hatte Ed O’Brien laut „Guardian“ bereits im Juli Radioheads Israel-Haltung erläutert: „Meine Brüder verabscheuen, was in Gaza vor sich geht“, so der Gitarrist damals bei Instagram. „Nur weil sie nicht in den sozialen Medien präsent sind oder nicht haarklein die Worte verwenden, die manche für geboten halten, heißt das nicht, dass sie nicht wirklich bestürzt und wütend über die Geschehnisse sind.“
Auf Anfrage des Musikmagazins „New Musical Express“ vom Donnerstag teilten Vertreter von „Radiohead“ am Donnerstag mit, man werde „keine weiteren Kommentare zu den schon geäußerten Erklärungen der Bandmitglieder abgeben.“
Ist die Tour schon das ganze Angebot wie bei den Comeback-Britpoppern Oasis? Oder werden Radiohead sich endlich auch an das zehnte Album machen? Dazu gibt es bisher kein Jota an Info auf der Bandwebsite. Zu Songwriting und Studioplänen war die Band indes seit jeher schweigsam. Und mit der 2018 gegründeten progrockigen Band The Smile haben Yorke und Jonny Greenwood immerhin ein gut laufendes Zweitprojekt mit dem Schlagzeuger Tom Skinner am Start. Dessen dritte Studioplatte „Cutouts“ mit Material aus den Sessions des Vorgängers erschien erst im Oktober 2024.
Und werden Radiohead 2026 weiter Konzerte geben? „Fürs Erste werden es nur diese sein“, erklärte Drummer Selway. Nicht ohne das Fünklein Hoffnung zu entfachen: „Aber wer weiß, wohin das alles führen wird“.
Aktuelles Album: Radiohead – „Hail to the Thief Live Recordings 2003–2009“ (XL Recordings) online bereits verfügbar, auf Tonträger ab 31. Oktober
Radiohead live: Madrid (Spanien): Movistar Arena – 4., 5., 7., 8. November; Bologna (Italien): Unipol Arena – 14., 15., 17., 18. November; London (UK): The O2 – 21., 22., 24., 25. November; Kopenhagen (Dänemark): Royal Arena – 1., 2., 4., 5. Dezember; Berlin (Deutschland): Uber Arena – 8., 9., 11., 12. Dezember
rnd