Die Weltbühne: Wie sich Holger Friedrich die Rechte sicherte

Der Weltbühne-Erbe Nicholas Jacobsohn behauptet, er wurde vom Verleger der Berliner Zeitung seiner Rechte beraubt. Doch das stimmt nicht. Eine Rekonstruktion.
Nicht nur die Wärme draußen steigt derzeit heftig. Auch die öffentliche Erregung um Aussagen des Verlegers der Berliner Zeitung, Holger Friedrich, hat einen neuen Höhepunkt erreicht. „Es bleibt nichts, wie es ist“ – unter diesem Titel lud Friedrich im Rahmen der „Ettersburger Gespräche“ nahe Weimar vor über zwei Wochen zur Diskussion ein. Die Absicht war, über „gesellschaftlichen Wandel, Medien, Verantwortung und seine ostdeutsche Biografie“ zu reden.
Bei der Veranstaltung wurde der Verleger dann auf Vorwürfe von Nicholas Jacobsohn, in den USA lebender Enkel von Siegfried Jacobsohn, dem jüdischen Journalisten und Gründer der berühmten „Weltbühne“, angesprochen. Friedrich habe die Zeitschrift ohne seine Einwilligung in diesem Jahr wieder aufgelegt. „Schädlich“ nennt Jacobsohn einen Text in der Weltbühne und bezeichnet Friedrichs Vorgehen als „Enteignung“, sein Handeln sei „unethisch“.
Bei diesem „Ettersburger Gespräch“ fiel ein Satz, um den aktuell gestritten wird: Jacobsohn zeige sich „enttäuscht“ und „vielleicht auch ein bisschen erschrocken“, dass beim Kauf der Weltbühne der „amerikanische Ostküsten-Geldadel von einem Ossi dann so an die Wand gespielt“ worden sei. Im Klartext: Friedrich konnte sich bei der Auseinandersetzung um die Weltbühne-Rechte gegen Nicholas Jacobsohn erfolgreich durchsetzen.
Definition OstküstenaristokratieDer Begriff „Ostküsten-Geldadel“ sorgt nun für aufgeregte Diskussionen. Die Tageszeitung taz urteilte: „Die bewusste Rhetorik des gebürtigen Ostberliners könnte antisemitische Ressentiments andeuten.“ Die Jüdische Allgemeine zitierte den Antisemitismus-Forscher Remko Leemhuis; der nannte den Begriff einer der „ältesten antisemitischen Stereotype“. In der Jüdischen Allgemeinen äußerte sich Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen den Antisemitismus, ähnlich. „Der Berliner Verleger Holger Friedrichs hat den Enkel des jüdischen Gründers der traditionsreichen Weltbühne öffentlich als ,Ostküsten-Geldadel‘ betitelt.“ Und dann weiter: „Gerade im Zusammenhang mit der angedeuteten Machtlosigkeit Jacobsohns ihm gegenüber liegt leider die Vermutung nahe, dass Friedrich, dessen Metier nun einmal Sprache und Kommunikation ist, diese Codes bekannt sind und er die Formulierung daher bewusst verwendet hat.“
Bei näherer Betrachtung entpuppt sich die Empörung als absurd, die Vorwürfe als unredlich – als ein Sturm im Wasserglas. Schaut man sich die Entstehungsgeschichte der neu aufgelegten Weltbühne an, wird offensichtlich: Friedrich ging es darum, mit Jacobsohn gemeinsam ein deutsch-jüdisches Projekt wiederaufleben zu lassen. Entsprechend setzt der Verleger sich zur Wehr. Die Jüdische Allgemeine lässt er wissen, dass der Begriff „Ostküsten-Geldadel“ nicht auf den jüdischen Hintergrund Jacobsohns Bezug nimmt: „Bezugspunkte sind beispielhaft der U.S.-amerikanische Historiker George Dyson in ,Turings Cathedral‘ oder die britische Historikerin Frances Stonor Saunders.“ Diese beschreibe „die ,so genannte Ostküstenaristokratie‘ im Zusammenwirken mit der ,Ivy League‘ als ,eine Art Bruderbund anglophiler Bildungsbürger, die die Rechtfertigung für ihr Handeln in den Traditionen der Aufklärung und der Unabhängigkeitserklärung verankert sahen‘.“
Die Weltbühne sollte als deutsch-jüdisches Kulturgut neu belebt werdenFelix Klein ist, so muss man mit Blick auf den sogenannten Weltbühne-Skandal feststellen, einer absurden Fehlinterpretation zum Opfer gefallen. Wer die Kommunikation zwischen Holger Friedrich und Nicholas Jacobsohn kennt, muss zu dem Schluss kommen, dass nicht der Weltbühne-Erbe der Machtlose bei der Auseinandersetzung um die Rechte war. Im Gegenteil: Jacobsohn hätte jede Gelegenheit gehabt, die Auseinandersetzung um die Rechte zu seinen Gunsten zu entscheiden.
Jacobsohn wird später das Gegenteil behaupten. Der Welt sagte er: „Ohne meine Zustimmung oder überhaupt eine Reaktion von mir abzuwarten, wurden die Markenrechte der Ossietzky-Gesellschaft an Holger Friedrich übertragen, der daraufhin am 17. April die Löschung meiner älteren Rechte beantragte. Das ist ungeheuerlich und meines Erachtens rechtswidrig.“
Die Wahrheit sieht anders aus. Vor der Übernahme der Rechte im Jahr 2025 hatte ein jüdischer Freund Friedrich geraten, Die Weltbühne als deutsch-jüdisches Kulturgut aus der Vergangenheit zurückzuholen und als deutsch-jüdisches Projekt wieder ins Leben zu rufen. Gemeinsam mit Jacobsohn.
Holger Friedrich ging es um eine KooperationIm Januar 2025 nahm Friedrich Kontakt auf, um die Rechte an der Weltbühne zu regeln. Einerseits zu dem deutschen Verein Weltbühne e.V., der parallel zu Jacobsohn eingetragene Markenrechte an dem Begriff Die Weltbühne hält und sich auf eine vormalige Rechteüberlassung durch den Herausgeber der DDR-Weltbühne beruft. Und andererseits zu dem Gründerenkel Nicholas Jacobsohn, den Friedrich dreimal zum Gespräch einlädt, um das Projekt in gemeinsamer Kooperation neu ins Leben zu rufen.Mit dem Weltbühne e.V. konnte sich Friedrich einigen und die Rechte übernehmen. Mit Jacobsohn stellte sich die Kommunikation als schwierig heraus. Doch Friedrich wusste: Würde Jacobsohn nicht reagieren, könnte er nach Übernahme der Weltbühne-Rechte des Vereins die Rechte von Jacobsohn löschen lassen. Dennoch ging es Friedrich um Kooperation, er wollte sich mit Jacobsohn einigen.
Der Schriftverkehr zwischen Friedrich und Jacobsohns Anwälten bezeugt, anders als von Jacobsohn behauptet, die vielen Kontaktversuche. Am 21. Januar 2025 wandte sich der Anwalt des Berliner Verlags in einer E-Mail erstmals an Jacobsohns ebenfalls in Berlin ansässigen Rechtsvertreter. Schon in dieser ersten Mail war die publizistische Linie des geplanten Weltbühne-Projekts unmissverständlich skizziert. Ziel sei es, „gegenwärtige Entwicklungen um eine humanistisch-pazifistische Perspektive zu ergänzen. Das steht in direkter Tradition des Journalismus von Tucholsky und Ossietzky.“ Im Namen des Berliner Verlags bat der Anwalt um Kontakt zu den amerikanischen Jacobsohn-Erben, mit dem Ziel einer einvernehmlichen Lösung der Rechtefrage. In derselben Mail war auch die Rede von einer geplanten Kooperation mit dem Weltbühne e.V., gipfelnd in der Aussage, der Berliner Verlag wäre begeistert, eine ähnliche Perspektive mit der amerikanischen Seite zu entwickeln.
Einmal DDR, immer DDR?Zwei Tage später, am 23. Januar, bittet der Jacobsohn-Anwalt – „bevor ich meinen Mandanten anspreche“ – um Auskunft zu Projektverantwortlichen, Statuten, Unabhängigkeitsgarantie und Finanzierung. Der Berliner Verlag sieht allerdings in dem frühen Stadium keine Veranlassung, sensible Informationen einem anderen als dem Rechteinhaber selbst, also Nicholas Jacobsohn, zur Verfügung zu stellen. In den kommenden Wochen wird versucht, auf anderem Wege Kontakt zu Jacobsohn aufzunehmen, leider vergeblich.Monate später, am 5. März, meldet sich der Berliner Jacobsohn-Anwalt erneut. Nach dem, schreibt er, „was ich durch meine Recherchen über die Absichten Ihres Mandanten erfahren habe, strebt Ihr Mandant eine Art Wiederbelebung der ‚DDR-Weltbühne‘ an. Nur um das klarzustellen: Ein neues Medienprodukt in der Tradition der ‚DDR-Weltbühne‘ ist für unseren Mandanten inakzeptabel.“
Schon die Lektüre der 15-zeiligen, durchaus überschaubaren ersten E-Mail des Rechtsanwalts des Berliner Verlags hätte den Jacobsohn-Anwalt eines Besseren belehren können. Die „direkte Tradition des Journalismus von Tucholsky und Ossietzky“ ist gerade nicht die Tradition der DDR-Weltbühne. Den Westberliner Jacobsohn-Anwalt scheint es nicht interessiert zu haben. War er bei seinen Recherchen auf die ostdeutsche Biografie des Verlegers Holger Friedrich gestoßen? Hat er mit der Weisheit des kalten Kriegers geschlussfolgert: einmal DDR, immer DDR?
Berliner Verlag hat Weltbühne-Markenrechte wasserdicht gesichertKnapp zwei Wochen nach der ablehnenden Antwort meldet sich Friedrichs Anwalt erneut bei der Gegenseite. Sein Mandant sei in New York und eigentlich schon bereit, die Löschung von Jacobsohns Weltbühnen-Rechten zu beantragen, „da die Gründe für die Nichtbenutzung nach dem Fall der Berliner Mauer nicht mehr bestehen und wir uns nun im vierten Jahrzehnt der Nichtbenutzung befinden“. Andererseits sei immer noch ein kooperativer Ansatz zwischen Friedrich mit Jacobsohn denkbar.
Das Angebot bleibt unerhört. Am 17. April informiert der Anwalt des Berliner Verlags den Jacobsohn-Anwalt dann über den nächsten Schritt. Erreicht das Schreiben jemals seinen Empfänger? Am 7. Mai folgt dann eine neue Avance. Friedrich ist vier Wochen später bei einem Termin mit dem israelischen Staatspräsidenten Yitzhak Herzog eingeladen. Er erwägt die Möglichkeit, das Projekt Weltbühne dort öffentlich vorzustellen und lädt Nicholas Jacobsohn ein, dabei zu sein. Auch diese Mail landet bei Jacobsohns Anwalt. Neun Tage später trifft die Antwort ein: „Nicholas Jacobsohn schätzt die freundliche Einladung nach Israel.“ Ein solcher Termin würde aber „Fakten schaffen, die noch erarbeitet sind“. Gemeint ist wohl: die noch zu erarbeiten sind. Jacobsohns Anwalt schlägt ein späteres Treffen in Berlin vor und erinnert an seine Fragen aus dem Januar, die zum Ziel haben, aufzuklären, welche neuen publizistischen Ziele die Weltbühne verfolgen soll.
Am 20. Mai, dem Erscheinungstag der ersten Weltbühne seit 32 Jahren, liefert der Anwalt des Berliner Verlags die Antworten: Die Herausgeber der Weltbühne sind Dr. Thomas Fasbender und Behzad Karim Khani; der herausgebende Verlag ist der Berliner Verlag; der Berliner Verlag gehört zu 100 Prozent der Familie Friedrich. Nichts davon war so unabdingbar, dass man nicht Wochen oder Monate zuvor in einen Dialog hätte einsteigen können.
An diesem Tag, dem 20. Mai, hat der Berliner Verlag seine Weltbühne-Markenrechte bereits wasserdicht gesichert; die Verfallsanträge für abgelaufene Rechte wurden wirksam eingereicht. Die Erben des legendären Siegfried Jacobsohn haben ihr Recht an der Marke Die Weltbühne weder nach 1945 noch nach 1990 realisiert, sie haben es auch 2025 versäumt. Wurden sie schlecht beraten? Hat Nicholas Jacobsohn von den Einladungen und Gesprächsangeboten des Berliner Verlags überhaupt Kenntnis gehabt? Hat er sich über die „Rechercheergebnisse“ seiner Berliner Anwälte hinaus je ein eigenes Bild von den Menschen gemacht, die das Lebenswerk seines Großvaters im 21. Jahrhundert zu neuer Blüte erwecken wollen? Die Dokumentenlage stimmt skeptisch.
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Berliner-zeitung