Bruce Springsteen: Heimkehr am 4. Juli? Was nach der Europatour droht

Es ist große Poesie über den größten Feiertag in Amerika, zugleich ein Lied über eine zarte Romanze an der Jersey-Shore. Ein verliebter Junge flüstert da einen ganzen Kurzfilm ins Ohr seines Mädchens: „Sandy, die Feuerwerke hageln heute Abend auf das kleine Paradies hier herab“, singt der junge Bruce Springsteen. Und dann erwähnt er die Männer, die auf der Rennstrecke ihre Springmesser flitzen lassen, und die Zauberer auf der Promenade, die ihre magischen Tricks noch nach Einbruch der Dunkelheit aufführen. Am Strand tanzen „die Jungs vom Casino mit offenen Hemden wie Latin Lovers“ und sie sind hinter den „albernen Mädchen aus New York“ her.
„Sandy“, singt Springsteen im Refrain, „hinter uns geht das Polarlicht auf, und der Pier erleuchtet unser Karnevalsleben für immer …“. New Jersey wirkt wie verzaubert in diesen Zeilen. Der Gartenstaat erscheint als „little Eden“, ein amerikanisches Idyll, so schön, dass der 4. Juli dieses Songs doch bitte für immer verweilen möge.
Der Unabhängigkeitstag wird gefeiert in Springsteens Song „4th of July, Asbury Park (Sandy)“, der auf seinem zweiten Album „The Wild, The Innocent & The E-Street Shuffle“ (1973) enthalten war (1974 erschien er - nur in Deutschland - als Single). Und heute, am Abend vor dem diesjährigen Unabhängigkeitstag, endet in Mailand Bruce Springsteens „Land of Hope and Dreams“-Europatour. Ein letztes „Andiamo!“ einer Konzertreise, auf der der Musiker vom ersten Auftritt an mit scharfen Sätzen gegen das Treiben des „unfähigen Präsidenten“ und seiner „Schurkenregierung“ zu Felde gezogen war.
Donald Trump hatte ihn daraufhin auf seiner Plattform Truth Social mit unpräsidialen Beleidigungen überzogen und ihm offen gedroht, er „solle seinen Mund halten, bis er wieder im Land ist (…). Dann werden wir alle sehen, wie es für ihn ausgeht.“ Einige Tage später veröffentlichte Trump dann ein Fake-Video, auf dem er Springsteen auf der Bühne von hinten mit einem Golfball „erschießt“.
Was passiert nun, wenn der Boss-Tross heimkehrt? Zu den Charaktereigenschaften des narzisstischen Trump zählen bekanntermaßen Übelnahme und Rachsucht. Zwar hielt der Präsident sich in der Folge des Golfball-Videos mit weiteren Poltereien gegen Springsteen zurück, aber er erhielt wohl stete Kenntnis von den in Frankreich, Deutschland, Tschechien, Spanien und Italien wiederholten, immer wieder um neue Vorwürfe gegen seine Regierung aktualisierte Brandreden, die auf den riesigen Screens auch noch in die jeweilige Landessprache übersetzt wurden.
Die „Los Angeles Times“ (LA Times) sah in einem Artikel vom 2. Juli über das Berlin-Konzert (11. Juni) eine besondere Wirkung von Springsteens Sätzen in Deutschland, „in einem Land, das seine Demokratie 1933 sterben sah“.
Der Politikwissenschaftler Jochen Staadt wies in der „LA Times“ zudem auf eine besondere Bedeutung Springsteens für Deutschland hin – die es schon seit seinem legendären Konzert in Ost-Berlin 1988 gebe: „Die Deutschen fühlen sich zu Springsteen hingezogen, weil er eine wichtige Rolle in unserer Geschichte gespielt hat, als Deutschland noch geteilt war, und weil er mit seiner Rockmusik möglicherweise dazu beigetragen hat, diese Teilung zu überwinden.“
Eine Heimkehr am 4. Juli wäre eigentlich perfekt gewählt. Denn dieser Tag wird in den USA als der Tag der Freiheit verstanden und empfunden. Der Tag, an dem sich vor nunmehr 249 Jahren die 13 amerikanischen Kolonien in Philadelphia als unabhängig vom britischen Königreich erklärten. Freilich dauerte der Unabhängigkeitskrieg gegen die Krone noch bis 1783 (und wurde – Ironie der Geschichte - unter Einbeziehung der französischen Krone für die amerikanische Sache) errungen. Die Proklamation des 4. Juli war, wenn man so will, Amerikas erstes „No Kings!“ – auf heutigen Demos der Zwei-Worte-Slogan gegen einen Präsidenten, der Unfreiheit schafft.
Springsteen hat mit seiner „No Kings“-Tour für die Demokratie Trump fraglos beschädigt. Der einzige unter den gesellschaftskritischen US-Songwritern, der rund um den Erdball größte Stadien mühelos füllt, hat seinen Massenappeal und seine globale Wahrnehmung als positiver, anständiger, unbescholtener Kumpel Bruce darauf verwendet, Trump öffentlich als Taugenichts darzustellen, wo doch selbst europäische Staatenlenkende für sein Wohlwollen schmeicheln und der Nato-Generalsekretär gar peinlich katzbuckelt.
Er habe dies „nicht aus Snobismus (getan), weil er ihn für einen vulgären, orangewangigen Palaverer hält“, urteilte der italienische „Rolling Stone“ am 1. Juli, dem Tag nach dem ersten Mailand-Konzert. Sondern weil er „die konstituierende Werte seines Landes gegen den Angriff des Präsidenten verteidigt“. Springsteen ist in diesem Gefecht der Gute, Trump der Böse – auch wenn Trumps Anhänger das in den sozialen Medien mit noch so wüstem Schimpf gegen „den reichen, verlogenen, volksfernen Bastard“ in Abrede stellen wollen, der „nur im Ausland mutig ist“ (es waren nun mal Springsteens ersten Konzerte nach der Wahl).
Die Welle des Protests könnte gefühlt ein wenig höher schlagen - dennoch: Immer mehr Künstler ziehen mit. „Handeln ist ein Gegenmittel zu Verzweiflung“, sagte Folkikone Joan Baez jüngst der US-Ausgabe des „Rolling Stone“, und wies auf die Fassungslosigkeit vieler Amerikaner darüber hin, dass dies alles tatsächlich in Amerika passiere, „denn das gilt sonst nur für andere Länder, die Dreckslochländer. Und wegen denen wird nun dieses Land auch ein Drecksloch.“
Patti Smith, die „Godmother of Punk“, die mit Springsteen 1978 Ihren größten Hit „Because The Night“ schrieb, kritisierte die von Trump angeordnete Bombardierung Irans und lobte Springsteens Mut. Die Dropkick Murphys aus Boston nennen ihr nicht von ungefähr am 4. Juli erscheinendes neues Album „For The People“ und zeigen auf dem Cover Landsleute bei „No Kings“-Demos. Und Carlos Santana sieht sein großes, noch vages Friedensfestival in San Francisco, New York und London auch als eines zur Überwindung von Spaltung. Man wartet auf Taylor Swift und Billie Eilish. Und was ist mit Bob Dylan, der zumindest auf seinem letzten Album „Rough And Rowdy Ways“ (2020) noch wortmächtig war?
Es finden sich auch republikanische Politiker, die zum liberalen Springsteen stehen – sie stammen aber vornehmlich aus seinem Heimatstaat. Chris Christie, der frühere Gouverneur von Springsteens Heimatstaat New Jersey lässt sich, so berichtete die „Washington Post“, weder von Partei noch Potus von seiner Boss-Liebe abbringen. Der Republikaner Chris Pack wurde von Springsteens Song „Darkness on The Edge of Town” dazu gebracht, sich politisch nach Washington D.C. aufzumachen. Die Lyrics des Songs befinden sich eingerahmt an der Wand seines Büros.
Pack behauptet auch, es gebe „eine Tonne“ republikanischer Boss-Fans in der Hauptstadt, verweigerte aber Namen mit der Bemerkung „niemanden outen zu wollen“.
Was könnte schlimmstenfalls passieren, wenn Springsteen mit der Band und seiner Crew nach Amerika zurückkommt? Einreiseverweigerung für den ganzen Tross? Festhalten am Flughafen? Klage wegen Majestätsbeleidigung? Am Tag der Veröffentlichung von Trumps Golfball-Video rief ein befreundeter Musikjournalist aus Berlin in der Redaktion an, aufgeregt, weil er das Video in Verbindung mit Trumps Drohung für einen nur schwach kaschierten Aufruf zu Gewalt hielt. Für jene Sorte von Ermutigung, bei der – sollte etwas Ungesetzliches passieren – der Präsident seine Hände in „Kann ich doch nichts für“-Unschuld waschen könnte, weil irgendwer ihn dann einfach falsch verstanden hat.
Also ähnlich wie nach dem Dreikönigstag des Jahres 2021. Als der Sieg von Trumps Nachfolger im Präsidentenamt, Joe Biden, durch Senat und Repräsentantenhaus bestätigt werden sollte, der abgewählte Trump seine Anhänger mit der Mär über den ihm geraubten Wahlsieg aufheizte und dann den Ort seiner Tiraden verließ, während der Mob das Kapitol stürmte und sich an einem Staatsstreich versuchte, bei dem auch Menschen starben.
Könnten verstrahlte Magakult-Anhänger tatsächlich eine Art Auftrag in Trumps Golfball-Video sehen? Müssen sich auch Springsteens Getreuen und ihre Familien Sorgen machen, die sich auf Europas Bühnen mit Gesang und Klang unter dem E-Street-Emblem versammelten und die Botschaft des Boss durch ihre Kunst mittrugen? Quatsch, sagte man damals. Dann wurden am 14. Juni, ein Tag vor dem Prag-Konzert, in Minnesota demokratische Politiker ermordet – mutmaßlich von dem Trump-Anhänger und Abtreibungsgegner Vance Luther Boelter (57).
Eine Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) an Springsteens Management, ob der Sänger samt der Musiker seiner inzwischen auf Rockorchestergröße gewachsenen E Street Band direkt nach dem letzten Konzert im Giuseppe-Meazza-Stadion von Mailand in die USA zurückkehren würden, und ob es dann verstärkten Personenschutz geben würde, blieb unbeantwortet. Und Springsteens Plattenfirma Sony hatte keinerlei Kenntnis über etwaige Rückkehrpläne für den 4. Juli.
Noch einmal nach „4th of July, Asbury Park (Sandy)“ hat Bruce Springsteen ein Lied vom Unabhängigkeitstag gesungen. Die Ballade „Independence Day“ erschien 1980 und gilt als eine der stärksten Gesangsleistungen des Sängers überhaupt. Es ist die autobiografisch gefärbte Geschichte eines jungen Mannes, der sich von seinem Elternhaus löst. „Vater, geh jetzt zu Bett, es wird spät / nichts, was wir sagen könnten, / könnte noch irgendetwas ändern“, singt der Sohn, und es gibt keine Feuerwerke, kein Polarlicht, keine Festlichkeiten und auch von Sandy ist keine Rede mehr. Springsteen beschreibt die „Dunkelheit eines Hauses“, in dem Sohn und Vater nicht mehr zusammenbleiben können, und die „Dunkelheit der Stadt“, die er nicht mehr aushält.
Zärtlich und traurig sind die Zeilen. Der persönliche Unabhängigkeitstag ist für den Erzähler des Lieds ohne jede Magie und Romantik, sein Blick in die Zukunft ist düster und wirkt heute wie eine Prophezeiung: „Da werden andere Leute des Wegs kommen“, singt Springsteen, „und sie sehen die Dinge auf andere Weise. / Und bald schon wird alles, was wir kennen, einfach weggefegt.“ Diese Männer sind da.
Und sollen wieder weg. Auch beim letzten Konzert in Mailand wird Springsteen Hoffnung säen: „Das Amerika, von dem ich Ihnen in den letzten 50 Jahren meines Lebens vorgesungen habe, gibt es wirklich“, wird er sagen. „Und unabhängig von seinen vielen Fehlern ist es ein großartiges Land mit großartigen Menschen. Und wir werden diesen Moment überleben.“
Was auch immer passieren wird, wenn er nach Hause kommt – Springsteen wird in diesem Zweikampf immer der Gute bleiben.
Bruce Springsteen - „Tracks II: The Lost Albums” (Legacy Records) Sieben CDs oder neun Vinylalben - erschienen am 27. Juni
Bruce Springsteen; „Lost And Found: Selections from The Lost Albums” (Legacy Records) eine CD/Doppel-Vinyl mit 20 Songs von „Tracks II” - erschienen am 27. Juni
rnd