Abschied von Chris Rea: Der Mann, der uns nach Hause sang

Nein, ein Rockstar wollte er nie sein. Rockstars, das waren junge, laute Angeber mit seltsamen Haaren, allesamt „Narzissten, die sich um ihre Frisur sorgen“. Das sei er nicht, hat er einmal gesagt. Christopher „Chris“ Anton Rea, geboren 1951 in Middlesbrough an der britischen Ostküste als Sohn einer italienisch-irischen Arbeiterfamilie, war Musiker. Nichts sonst. Nicht Rockstar, nicht Popikone, schon gar kein Superstar von Gottes Gnaden. Einfach Musiker. Und was für einer.
Niemand, der jemals an einem kalten Dezembertag zu Chris Reas „Driving Home For Christmas“ durch eine verzauberte Schneelandschaft zu seinen alten Eltern nach Hause fuhr, kann diese Stimme mit der eines anderen Menschen verwechseln. Ein rauchiges, heiseres, tiefes, sanftes Raunen. Eine Stimme wie ein akustischer Heimathafen. Als legte Dir jemand eine Hand auf die Schulter und leitete Dich in die richtige Richtung. Chris Rea war der Mann, der uns nach Hause sang.

Sein Weihnachtsklassiker von 1986 war der Soundtrack für ungezählte Heimfahrten. Kein Lametta, kein Pathos, kein Glöckchenklingeln und keine Harfe. Stattdessen ein schüchternes Klavier, ein paar Streicher, ein honigwarmer Wechselbass und dazu Rea, der mit sich selbst im Duett singt: „Driving home for Christmas / With a thousand memories...“ Tausend Erinnerungen für Millionen Menschen, die es nach Hause zieht.
Zwei Tage vor Heiligabend ist Chris Rea nun mit 74 Jahren gestorben. „Nach kurzer Krankheit”, wie seine Familie mitteilte. Er hinterlässt seine Ehefrau Joan, mit der er seit Teenagerzeiten zusammen war, und zwei erwachsene Töchter. Für sie schrieb Rea einst zwei seiner schönsten Hits: „Josephine“ und „Julia“. Auch in „Stainsby Girls“ geht es um die Töchter.
Knapp 20 Jahre alt war er schon, als er sich Anfang der Siebzigerjahre seine erste Gitarre kaufte, eine gebrauchte „Hofner V3″ von 1961. Er jobbte damals ziellos in der Speiseeisfabrik seines Vaters, hörte im Lager heimlich Blues, übte dazu auf seiner Gitarre und schliff sein Spiel, bis er ein Virtuose war, vor allem mit seinem später legendären Bottleneck-Slidespiel. Dem Starrummel und seinen Verlockungen hat er sich stets verweigert. Rea wollte Musik machen, kein Erlöser des Pop sein.

Der Weg zum Erfolg war lang und steinig. Seine erste Plattenfirma wolle einen „Elton Joel“ aus ihm machen, klagte er, also eine zuckrige Mischung aus Elton John und Billy Joel. Das war nicht sein Ding.
Seinen ersten einzelnen Hit hatte er 1978 in den USA mit der Single „Fool If You Think It’s Over“. Aber erst sein siebtes Album „Shamrock Diaries“ brachte 1985 den kommerziellen Durchbruch. Die Chris Reas von heute werden auch deshalb nicht entdeckt, weil keine Plattenfirma mehr sieben Alben Geduld hat mit einem Künstler. Der ganz große Erfolg stellte sich dann ab 1989 mit dem eher düsteren, gesellschaftskritischen Album „The Road To Hell“ ein. Mehr als 30 Millionen Tonträger hat Chris Rea bis heute verkauft.
Er wusste, dass die Leute wegen seiner Hits kamen, vor allem seine deutschen Fans. „In Deutschland hängt die Größe der Halle und das Geld, was Dir angeboten wird, davon ab, welche Lieder Du laut Vertrag spielen wirst“, hat Rea einmal gesagt. „Wenn Du alle Hits spielst, lassen sie Dich in der großen Halle in Dortmund auftreten. Wenn nicht, dann trittst Du irgendwo in einem Club in Köln auf.“ So ist das Geschäft. Er war auch Pragmatiker.
Seine Krankenakte war voluminös. Rea war Diabetiker und lange Zeit auch Raucher. 2005 erkrankte er an Bauchspeicheldrüsenkrebs, in einer 16-stündigen Operation wurden ihm in Deutschland die Drüse und Teile des Magens entfernt, zahlreiche Eingriffe folgten. Er kämpfte. Seine erste Abschiedstournee mit 44 Auftritten folgte bereits 2006. Und jeder, der ihn auf der „Road To Hell and Back Farewell“-Tour erlebt hat, konnte erkennen, dass dieser Mann genau das hinter sich hatte: den Weg zur Hölle und zurück.
2016 erlitt er bei einem Pubbesuch einen Schlaganfall, war danach halbseitig gelähmt, musste seinem kranken Körper die Fähigkeit zum Gitarrespielen mühsam wieder abringen. 2017 erschien dann aber doch noch einmal ein Album, sein letztes - mit einem Titel, der genau so auch über seinem Lebenswerk stehen könnte: „Road Songs for Lovers“. Tatsächlich gab Chris Rea noch einmal 35 Konzerte, das letzte am 9. Dezember 2017 im New Oxford Theatre. Während der Show brach er zusammen. Danach zog er sich zurück.

Reas Songs verzichten auf billige Tricks, wollen nichts beweisen, niemanden beeindrucken. Ohne jede Hast erzählt er von der Liebe, vom Unterwegssein, vom Verletztwerden und Genesen. Es sind Songs eines Bluesvirtuosen für Nächte auf endlosen Asphaltbändern. Glück ist in Chris Reas Musik kein flüchtiger Klimax, sondern ein Zustand der Erleichterung. Sein Weihnachtsfest in „Driving Home for Christmas“ ist kein grelles Spektakel, sondern ein stiller, vertrauter Liebesreigen.
Sein Werk kann schon deshalb nicht altern, weil es niemals modisch war, sondern immer zeitlos. Sein Geheimnis war die Gelassenheit, sein Ziel immer Ausgeglichenheit. Chris Rea wird weitersingen, solange Menschen an Weihnachten nach Hause fahren und das Radio aufdrehen, um dieses Geschenk von einem Lied zu hören.
rnd





