Wie dezentrale Energie gigantischen Nutzen bringen soll

Das Versprechen ist ein ganz großes: Private Haushalte halbieren ihre Stromkosten, es entstehen 100.000 neue Arbeitsplätze, der teure Ausbau der Verteilnetze wird um 40 Prozent reduziert. In den nächsten 20 Jahren entsteht ein Nutzen für die gesamte deutsche Wirtschaft von bis zu 255 Milliarden Euro.
Das sind die Eckpunkte eines Plans zum Fortschreiben der Energiewende, den die Unternehmensberatung Roland Berger erarbeitet hat. Hinter dem Konzept steht ein neues Bündnis aus derzeit 21 Unternehmen namens New Energy Alliance. Dazu gehört eine Reihe von Energiefirmen, die sich auf Solaranlagen und Wärmepumpen spezialisiert haben. Aber auch Elli, die Stromlade-Tochter des Volkswagen-Konzerns, Bosch und der Wohnungskonzern Vonovia machen mit.
Die Vorschläge verstehen sich als Gegenentwurf zu den Plänen von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), die von einem verlangsamten Ausbau der regenerativen Energien ausgeht und zur Sicherung der Versorgung große Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von 20 Gigawatt errichten lassen will – was etwa 15 Atomkraftwerken entspricht. Reiche hat erste Ausschreibungen noch für dieses Jahr angekündigt.
Die „tragende Säule“ im Roland-Berger-Konzept sind dezentrale Lösungen. Es gebe da ein noch nicht ausgeschöpftes Potenzial, um die Kosten der Energiewende deutlich zu reduzieren, so Marc Sauthoff, Partner bei Roland Berger. Hierfür existiere bereits eine führende Branche in Deutschland. „Wenn wir jetzt noch die richtigen Weichen stellen, können wir in den nächsten 10 Jahren einen echten Unterschied machen“, so Sauthoff.

Der RND-Newsletter aus dem Regierungsviertel. Immer donnerstags.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Er sieht das größte Potenzial bei den Verbrauchern. Immer nach dem Prinzip, Energie möglichst dort zu erzeugen, wo sie auch verbraucht wird. Beispielsweise Solarstrom vom Hausdach, der einen beträchtlichen Teil des gesamten Energiebedarfs der Bewohner abdecken kann. Optimiert wird das durch Batterien, die auch abends Strom liefern, wenn die Sonne nicht mehr scheint und elektrische Energie wegen großer Nachfrage teuer ist.
Große Hoffnungen werden auch auf die E-Mobilität gesetzt: Akkus sollen immer dann gefüllt werden, wenn Strom massig zur Verfügung steht. Zudem soll das sogenannte „bidirektionale Laden“ groß herauskommen, damit private Haushalte künftig auch als Energielieferanten fungieren können. Gleichzeitig wird in der Studie davon ausgegangen, dass durch das Installieren von Photovoltaik, von Speicher-Batterien und Wallboxen für E-Autos „lokale Wertschöpfung“ entsteht, die Arbeitsplätze schafft.
Unterm Strich haben die Roland-Berger-Experten für einen privaten Haushalt mit einem Stromverbrauch von 4000 Kilowattstunden (kWh) pro Jahr eine Einsparung von 900 bis 1200 Euro hochgerechnet, was im Optimum einer Halbierung der Kosten entspricht – für Strom aus dem Netz wird dabei ein Preis von 40 Cent pro KWh unterstellt, also nah am aktuellen Durchschnitt. Kleinere mittelständische Unternehmen (Verbrauch: 15.000 kWh pro Jahr) könnten sich sogar über eine Entlastung von 1500 bis 2500 Euro freuen.
Das alles ist nicht nur auf Eigenheime und Firmen gemünzt, sondern kann auch als sogenannte Quartierslösung für große Wohnanlagen mit Mietern funktionieren. „Die dezentrale Energieerzeugung und der dezentrale Verbrauch durch Technologien wie Photovoltaik und Wärmepumpen bieten der Wohnungswirtschaft die Chance, aktiv zur Energiewende beizutragen“, sagt Vonovia-Manager Stephen Guhr. Insbesondere für Mehrparteienhäuser könnten diese Lösungen nicht nur eine klimafreundliche Energie- und Wärmeversorgung sicherstellen, sondern auch die Nebenkosten für Mieterinnen und Mieter senken.
Noch in den Kinderschuhen steckt die Nutzung von E-Autos als Stromspeicher, die bei Bedarf angezapft werden. Aber: „E-Mobilität in Kombination mit smartem oder bidirektionalem Laden bringt ein enormes Potenzial für das Energiesystem bei gleichzeitiger Kostensenkung für Haushalte”, so Giovanni Palazzo, Vorstand der Volkswagen-Tochter Elli.
Und wie lässt sich das umsetzen? „Erstmal brauchen wir flächendeckend intelligente Zähler, damit Verbraucher die Preissignale am Strommarkt überhaupt nutzen können und Strom beziehen, wenn er billig ist“, sagte Philipp Schröder, Chef des Energy-Startups 1Komma5-Grad, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Für den Rollout der Smart Meter müsse die Politik den Druck auf die Verteilnetzbetreiber erhöhen.
Zweitens plädiert er für flexible Netzgebühren: „Damit es für Menschen in Norddeutschland Sinn macht, Geschirrspüler und Waschmaschinen einzuschalten sowie E-Autos zu laden, wenn es dort zu viel günstigen Strom gibt.“ Schröder fügt hinzu: „Wenn wir beides haben, wird es massive Effekte geben, die die Stromnetze entlasten und damit Kosten reduzieren.“
Mit Blick auf Reiches Gaskraftwerke ist für den Manager klar: „Flexibilität muss den Vorrang haben. Erst wenn diese Potenziale ausgereizt sind, sollte der Bedarf an Kraftwerken ermittelt werden, die mit teurem Gas Strom erzeugen.“ Wer heute stattdessen mit einem starren Stromnetz plane, brauche mehr Reserve-Kapazitäten, damit werde der Netzausbau in die Höhe getrieben. „Die Kosten dafür trägt die Allgemeinheit.“
rnd