Donald Trump als Geburtshelfer: Die EU und Lateinamerika nähern sich mit raschen Schritten an


Donald Trumps erratische Handelspolitik eint plötzlich Länder, die zuvor nicht zueinander fanden. Am Mittwoch begann in Brüssel der Ratifizierungsprozess für ein breit gefasstes politisches und wirtschaftliches Abkommen zwischen der EU und den Staaten des Mercosur, also Brasilien, Argentinien, Paraguay sowie Uruguay. Seit dem Sommer 1999 hatten die Parteien über einen Vertrag verhandelt, sich aber nie geeinigt. Mit der Wahl Trumps zum US-Präsidenten haben die Gespräche jedoch eine neue Dynamik bekommen – nun soll es schnell gehen.
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Die EU-Kommission hat sich das Ziel gesetzt, dass mindestens der handelspolitische Teil des Abkommens bis Ende Jahr unter Dach und Fach ist. Nötig ist dafür die Stimmenmehrheit im EU-Parlament; zudem müssen dem Vertrag mindestens fünfzehn Mitgliedsländer zustimmen, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.
Was Handelsverträge betrifft, ist die EU-Kommission seit Trumps Wahlsieg im November 2024 äusserst umtriebig. So spricht sie etwa auch mit Indien und Indonesien über ein Abkommen. «Wir müssen um jeden Marktzugang kämpfen», sagte der für Handel zuständige EU-Kommissar Maros Sefcovic am Mittwoch.
Das Mercosur-Abkommen ist dabei am weitesten fortgeschritten, auch weil die vier lateinamerikanischen Staaten ein grosses Interesse daran haben, die Beziehungen zur EU zu vertiefen.
Besonders erpicht darauf ist Brasilien, denn Trump hat dem Land einen hohen Zoll von 50 Prozent aufgezwungen. Brasiliens Wirtschaft benötigt neue Märkte. Der Vertrag sei daher ein Zeichen der Solidarität mit dem lateinamerikanischen Land, sagt Bernd Lange, der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament.
Vielfältige OppositionAls die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen im vergangenen Dezember die Initiative ergriff und sich mit den vier Ländern auf ein Abkommen einigte, war das allerdings auch eine Provokation gegenüber dem mächtigen EU-Land Frankreich. Dessen Präsident Emmanuel Macron hatte sich stets gegen einen Vertrag ausgesprochen.
Macrons Angst ist gross, dass sich viele europäische Konsumenten für brasilianische Rindersteaks statt für französisches Fleisch entscheiden könnten. Frankreichs Landwirte protestierten heftig gegen das Abkommen, und der politisch ohnehin geschwächte Präsident wollte sich nicht auch noch die Bauern zum Feind machen.
Allerdings haben nicht nur Frankreichs Landwirte aufbegehrt. Auf Ablehnung stiess das Abkommen auch in Polen, Italien, den Niederlanden und Österreich. Die Regierungen dort machten sich die Abwehrhaltung der Landwirte zu eigen, weil diese ein wichtiges Wählersegment darstellen.
Schutzmassnahmen für die BauernGleichzeitig ist die EU-Kommission ein wenig selber schuld, dass dem Abkommen seitens der Bauern, aber auch von den Grünen so viel Widerstand entgegenschlägt. Am Mittwoch hat sie nämlich erneut vollmundig verkündet, dass mit dem Vertrag die weltweit grösste Freihandelszone mit 700 Millionen Konsumenten entstehe. Das ist eine krasse Übertreibung, denn von Freihandel kann vorerst keine Rede sein.
Erstens sinken die Industriezölle nur langsam, bei Autos etwa über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren. Derzeit liegen sie im Mercosur bei 35 Prozent.
Zweitens lässt die EU nur geringe Mengen lateinamerikanischer Agrargüter zu, um so die europäischen Bauern zu schützen. Beispielsweise dürfen jährlich bloss 99 000 Tonnen Rindfleisch zu einem reduzierten Zollsatz von 7,5 Prozent in die EU importiert werden. Das sind 1,5 Prozent des europäischen Konsums. Bei Mengen, die darüber hinausgehen, besteht weiterhin eine viel höhere Importabgabe.
Stark begrenzt sind auch die Einfuhrmengen anderer Agrargüter. So werden lediglich 180 000 Tonnen lateinamerikanisches Poulet zollfrei auf den europäischen Markt gelangen. Das entspricht 1,3 Prozent der jährlichen Geflügelproduktion in der EU.
Darüber hinaus soll es weitere Massnahmen geben, um die Landwirte zu beruhigen. So verspricht die Kommission, dass sie halbjährlich analysieren werde, ob es bei Agrargütern infolge des Abkommens zu Marktverwerfungen komme, etwa abrupten Preisrückgängen. Sollte das geschehen, gibt es einen Schutzmechanismus, der unter anderem die Wiedereinführung von Quoten vorsieht. Zudem will die EU einen Fonds von 6,3 Milliarden Euro schaffen. Er soll Bauern unterstützen, die infolge von Marktverwerfungen unter Druck kommen.
Frankreich gibt sich konziliantOb all diese Massnahmen die kritischen Länder umstimmen werden, war am Mittwoch noch unklar. Polens Ministerpräsident Donald Tusk sagte, sein Land sei weiterhin gegen den Vertrag – habe aber keine Verbündeten mehr, um ihn zu blockieren. Der französische Handelsminister Laurent Saint-Martin meinte, das Abkommen gehe mit dem Schutzmechanismus nun in die richtige Richtung.
Für den Handelsvorsitzenden des EU-Parlaments, Bernd Lange, wäre es ein Weihnachtsgeschenk an die Welt, wenn das Abkommen Ende Jahr in Kraft träte: Es wäre ein Zeichen, so Lange, dass der internationale Handel zumindest teilweise noch nach Regeln funktioniere.
nzz.ch