Der Untergang der Credit Suisse: Kantonalbanken sowie die Pensionskassen von SBB und Migros klagen gegen den Bund

Auch namhafte Investoren in der Schweiz haben durch die staatlich verordnete Abschreibung der AT1-Anleihen Geld verloren. Nun sind die die Betroffenen im Austausch mit den Geiern der Finanzwelt.

Alessandro Della Valle / Keystone
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Die sogenannte «Rule 34» ist ein inoffizielles Internetgesetz. Es besagt: Alles, was existiert oder vorstellbar ist, findet sich als Pornografie im Netz. Auf Englisch lautet der Satz: «There’s porn of it, no exceptions.»
Für Finanzgeschäfte gilt Ähnliches. Auch in diesem Bereich sind der Phantasie kaum Grenzen gesetzt, wie der Untergang der Credit Suisse zeigte. Als die Finanzmarktaufsicht (Finma) im März 2023 verfügte, die sogenannten Additional-Tier-1-Anleihen (AT1) der CS mit einem Nennwert von über 16 Milliarden Franken vollständig abzuschreiben, witterten die Geier der Finanzwelt die Chance auf Profit.
Sie suchten den Kontakt zu AT1-Investoren. Zwar existieren deren Anleihen aufgrund der Finma-Verfügung nicht mehr als handelbare Wertpapiere. Doch die Finanzspekulanten und spezialisierten Anwälte boten den Geschädigten an, deren Rechtsansprüche zu übernehmen. Ihr Kalkül: Die abgeschriebenen Anleihen könnten reaktiviert werden und sich am Ende als wertvoller erweisen als das, was sie bezahlt hatten.
Auch bei institutionellen Anlegern in der Schweiz meldeten sich diese Investoren regelmässig, wie ein Insider gegenüber der «NZZ am Sonntag» berichtet. Im Frühjahr 2023, kurz nach dem Zusammenbruch der CS, lagen die Offerten für die Abtretung der Ansprüche bei 5 bis 10 Prozent des Anleihen-Nennwerts. Inzwischen sind sie deutlich gestiegen: Derzeit werden bis zu 30 Prozent geboten.
SBB-Pensionskasse klagt gegen den BundGrund dafür ist das überraschende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Mitte Oktober, gemäss dem die vollständige Abschreibung der AT1-Anleihen unzulässig gewesen sei. Nun befasst sich das Bundesgericht mit dem Fall. Für geschädigte Investoren stellt sich die Frage, ob jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Verkauf der Ansprüche ist.
Beim Bundesverwaltungsgericht gingen gegen die Finma-Verfügung 360 Beschwerden ein, hinter denen rund 3000 Personen und Gesellschaften aus aller Welt stehen. Namen sind kaum bekannt. Recherchen der «NZZ am Sonntag» zeigen aber, dass auch prominente Schweizer Investoren darunter sind.
Etwa die Pensionskasse der SBB. Sie verlor durch die Abschreibung rund 1,6 Millionen Dollar. Das Geschäftsleitungsmitglied Patrick Zuber begründet die Beschwerde gegen die Finma-Verfügung wie folgt: «Als Pensionskasse haben wir eine treuhänderische Pflicht gegenüber unseren Versicherten, deren Vermögen zu wahren.» Dass sich zwei Vertreter des Bundes vor Gericht gegenüberstehen, findet Zuber nicht ungewöhnlich. «Wenn wir mit einem Entscheid der Eidgenössischen Steuerverwaltung oder einer anderen Bundesbehörde nicht einverstanden sind, wehren wir uns ebenfalls im Interesse unserer Versicherten.»
Kantonalbanken und deren Kunden verloren MillionenAuch mehrere Kantonalbanken erlitten Verluste. Die Freiburger Kantonalbank verlor 5 Millionen Franken. Bei der Thurgauer Kantonalbank hielten rund 30 Kunden AT1-Anleihen im Umfang von 2 Millionen Franken. Beide Banken schlossen sich der Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht an. Die Nidwaldner Kantonalbank hingegen beteiligt sich an einer Sammelklage und erwartet die Rückerstattung des Nominalbetrags ihrer Anleihe von einer Million Franken.
Betroffen ist auch die Zürcher Kantonalbank (ZKB), die grösste Schweizer Bank in öffentlicher Hand. Die AT1-Anleihen der CS waren Teil eines Fonds der ZKB-Tochter Swisscanto, der in «hybrides Bankkapital» investierte. Nach Informationen gut informierter Kreise geht es um einen tiefen zweistelligen Millionenbetrag. Eine Beschwerde reichten ZKB und Swisscanto jedoch nicht ein. Die Medienstelle begründet dies mit einer Abwägung zwischen den Kosten und Risiken eines Verfahrens und dem potenziellen Nutzen für die Anleger: «Die Swisscanto Asset Management International SA prüft im Rahmen ihrer treuhänderischen Pflicht laufend die rechtliche Situation», teilte sie mit.
Dazu muss man wissen: Weder die ZKB noch andere AT1-Investoren müssen selbst gegen die Finma vorgehen, um von einer möglichen Aufhebung der Verfügung zu profitieren. Sollte das Bundesgericht die Abschreibung rückgängig machen, kämen alle Investoren in den Genuss des Urteils – auch jene ohne Klage. Anders ist es bei Schadenersatzforderungen. Solche Verfahren, im Ausland oft als Sammelklagen geführt, haben durch das Urteil der St. Galler Richter neuen Auftrieb erhalten. Davon profitieren aber nur jene, die sich aktiv beteiligen. Nach Informationen der «NZZ am Sonntag» ist es nicht ausgeschlossen, dass sich die ZKB-Tochter Swisscanto einer solchen Klage anschliessen wird.
Migros-Pensionskasse schwärmt von AT1Trotz dem Ärger halten viele Anleger AT1-Anleihen weiterhin für sinnvoll. Die SBB-Pensionskasse verteidigt ihr Engagement ebenso wie die Migros-Pensionskasse, die rund 100 Millionen Franken verlor. Der Geschäftsleiter Christoph Ryter sagt: «Wir haben Chancen und Risiken analysiert und kamen zu dem Schluss, dass wir für die eingegangenen Risiken gut entschädigt wurden.»
Rückblickend sei die Anlageentscheidung richtig gewesen, betont er, denn trotz der CS-Abschreibung gehörten AT1 zu den am besten performenden Anlageklassen der letzten Jahre. Ryter verweist darauf, dass die Migros-Pensionskasse langfristig zu den erfolgreichsten der Schweiz gehöre: «Unser Portfolio ist breit diversifiziert und erzielt überdurchschnittliche Erträge.»
Den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts habe die Migros-Pensionskasse erfreut zur Kenntnis genommen. Er bestätige, dass das vertraglich definierte Ereignis für eine Abschreibung der AT1-Anleihen nicht eingetreten sei.
Ein Artikel aus dem «NZZ am Sonntag»
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