Schwimm-WM: Florian Wellbrock trotzt den Wellen

Als Spaßinsel wird Sentosa, ein fünf Quadratkilometer kleines, direkt vor Singapur gelegenes Eiland, bezeichnet. Golfplatz, Luxusresorts, künstliche Strände – der frühere britische Militärstützpunkt ist eine aus dem Boden gestampfte Spielwiese für gestresste und betuchte Großstädter. Direkt vor der Insel herrscht reger Schiffsverkehr, Tanker und Fähren kreuzen die viel befahrene Straße von Singapur, Ölraffinerien prägen das Bild. An diesem Ort der Gegensätze stürzten sich am Mittwochmittag Ortszeit die Freiwasserschwimmer bei den Weltmeisterschaften also doch noch in die braunen, welligen Fluten – nachdem die Rennen wegen zu schlechter Wasserqualität mehrmals hatten verschoben werden müssen.
30,4 Grad warm war das Meer vor Sentosa laut offizieller Messungen. Zugleich lagen die Werte von E.Coli-Bakterien nach Angaben des Schwimm-Weltverbandes World Aquatics im Gegensatz zu den vergangenen Tagen zwischen „gut“ und „exzellent“. Anders als andere Schwimmer liebt Florian Wellbrock warmes Wasser – und kam mit der Badewannentemperatur am besten zurecht. Der 27-Jährige schlug nach sechs Runden in 1:59,55 Stunden vor Italiens Serien-Europameister Gregorio Paltrinieri an und sicherte sich das siebte WM-Gold seiner Karriere. Sechs dieser Titel hat er im Freiwasser gewonnen, einen über 1500 Meter Freistil im Becken vor sechs Jahren in Gwangju. Gregorio Paltrinieri sicherte sich in Singapur Silber, der Australier Kyle Lee Bronze – nur 0,1 Sekunden vor Wellbrocks Trainingskollegen Oliver Klemet; der Olympiazweite von Paris wurde diesmal Vierter.

Neunmal Gold: Katie Ledecky ist in Paris zur erfolgreichsten Schwimmerin und US-Sportlerin bei Sommerspielen aufgestiegen, nun kann die 27-Jährige sogar noch einen weiteren Rekord einstellen. Was sie so einmalig macht.
Optisch abgetrennt vom offenen Meer durch ein langes, blaues Bojenband, pflügten die Schwimmer durchs Wasser. Wellbrock blieb seiner oft erfolgreichen Taktik treu, das Feld mit niedriger, kraftsparender Frequenz schon früh anzuführen. Sein Plan funktionierte wieder einmal. Der Magdeburger lag die meiste Zeit des Rennens vorne. Später, nachdem er im Ziel aufs blaue Ponton gestiegen war und die Arme jubelnd ausgebreitet hatte, sagte er: „Ich war ein bisschen nervös vorher, weil es doch recht wellig war. Es hat sich ein bisschen angefühlt wie in einer Waschmaschine bei 40 Grad.“ Und: „Ganz ehrlich: Ich habe die Rennen im kalten Wasser gehasst.“ Wellbrock bezog sich dabei auch auf sein völlig verkorkstes Olympiarennen vor einem Jahr in Paris in der kühleren, ähnlich baktrienverseuchten Seine, nach dem er wortlos verschwunden war.

Auch in den Beckenwettbewerben hatte Wellbrock damals enttäuscht, danach zog er sich zurück und stellte sogar seine Zukunft als Profischwimmer infrage. Er entschied sich dann, bis zu den Sommerspielen in Los Angeles 2028 weiterzumachen, wechselte die Psychotherapeutin, drehte an einigen anderen Stellschrauben. Und Bundestrainer Bernd Berkhahn quälte die Gruppe um Wellbrock, Klemet und Olympiasieger Lukas Märtens im Höhentrainingslager in den französischen Pyrenäen, schickte sie auf Ergometern in eine Hitzekammer, um sie an die hohen Temperaturen in Singapur zu gewöhnen.
Dass nun allerdings, wie schon in Paris, die Bakterienwerte über dem Grenzbereich lagen, bekamen vor allem die Frauen zu spüren. Ihr Zehn-Kilometer-Rennen wurde wegen zu hoher E.coli-Werte gleich zweimal verschoben, erst von Dienstag auf Mittwoch und dann noch einmal vom Morgen auf den Nachmittag. Die Schwimmerinnen, unter ihnen die Deutschen Lea Boy und Jeannette Spiwoks, waren erst mitten in der Nacht von der ersten Verschiebung unterrichtet worden. „Das ist echt nervig. Was uns Aktiven hier zugemutet wird, ist einfach nicht okay“, sagte Boy, die ihr Rennen am Mittwoch schließlich aufgeben musste. Spiwoks wurde 15., Gold gewann die Australierin Moesha Johnson. Auch Wellbrock übte Kritik am Schwimm-Weltverband nach seinem Gold-Rennen: „Das war schon sehr, sehr ärgerlich. Wir haben wenig Verständnis dafür, dass World Aquatics die Trainer und die Komitees eigentlich mitten in der Nacht über solche Umstände informiert.“
Ganz so schlimm wie in Paris kam es dann aber doch nicht. Bei den Sommerspielen hatten die Veranstalter schöne Bilder vom Schwimmen in der Seine geplant. Doch nach dem Triathlon und dem Freiwasserschwimmen wurden Athleten reihenweise krank, manche, wie Leonie Beck, die in Singapur nicht am Start ist, übergaben sich in der Hotellobby. Dass gerade den Freiwasser-Athleten vieles zugemutet wird, war schon 2016 in Rio zu sehen, wo die Wasserqualität auch nicht besser war.

Die Bakterien sind nun auch in Singapur ein großes Problem. Zudem mag das warme Wasser Wellbrock gefallen, andere Athleten führt es an die Grenze der Erschöpfung. Die 30,4 Grad, in denen Wellbrock Weltmeister wurde, lagen nur 0,6 Grad unter dem Maximalwert. Diese Obergrenze war 2010 eingeführt worden, nachdem der US-Amerikaner Francis Crippen bei einem Weltcup in den Vereinigten Arabischen Emiraten bei mehr als 30 Grad Wassertemperatur im Meer kollabiert, untergegangen und gestorben war.
Die Messungen und wohl auch die Diskussionen werden andauern, denn am Freitag, Samstag und Sonntag stehen weitere Wettbewerbe im Freiwasserschwimmen an. Wellbrock kann sie aber beruhigt in Angriff nehmen, nachdem er nun zurück an die Weltspitze geschwommen ist – unter widrigen Bedingungen, wie er am Ende nochmal anschaulich beschrieb: „Die großen Tanker und die Boote, die da langgefahren sind, haben noch mehr Wellen mit reingebracht. Das war schon ein bisschen chaotisch heute da draußen.“
süeddeutsche