Marlen Reusser entgleitet der Gesamtsieg am Giro d’Italia – weil sie vor der Königsetappe krank wird

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Marlen Reusser entgleitet der Gesamtsieg am Giro d’Italia – weil sie vor der Königsetappe krank wird

Marlen Reusser entgleitet der Gesamtsieg am Giro d’Italia – weil sie vor der Königsetappe krank wird
Ausgepumpt nach der Bergankunft: Marlen Reusser verliert am Giro die Maglia rosa in der vorletzten Etappe.

Marlen Reusser versucht noch einmal alles. Fünf Kilometer vor dem Ziel der letzten Etappe des Giro d’Italia Donne tritt die Bernerin an. Sie weiss, dass ihr nur 22 Sekunden zum Gesamtsieg in der Italienrundfahrt fehlen. Doch Reussers Attacke verpufft; die letzten Tage haben zu viel Kraft gekostet. Reusser wird nach der Ankunft auf der Automobil-Rennstrecke von Imola im Gesamtklassement Zweite, hinter der italienischen Vorjahressiegerin Elisa Longo Borghini. Für Reusser ist das eine Enttäuschung. Der Sieg ist ihr erst in der Schlussphase der Rundfahrt entglitten.

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Die Aussicht auf den Gesamtsieg war schon am Vortag kleiner geworden. Am Samstagabend meldete sich die 33-jährige Schweizerin per Sprachnachricht aus dem Ziel der vorletzten Etappe. Sie habe sich «komplett abgeschossen», sie sei anderthalb Kilogramm leichter als am Vortag. Reusser war den Tränen nahe. Soeben ist die Königsetappe zu Ende gegangen, 150 Kilometer lang, 3850 Höhenmeter, ein Mammutprogramm für die Rennfahrerinnen.

Reusser sass danach enttäuscht am Strassenrand, die Konkurrentin Antonia Niedermaier aus Deutschland und ein Betreuer ihres Teams Movistar trösteten sie. Später schrieb Reusser auf Instagram an Niedermaier: «Obwohl du selbst gerade erst eine unglaubliche Anstrengung hinter dir hast, findest du die Freundlichkeit, mich auf so fürsorgliche Art zu trösten.» Was war passiert?

Eine Magenverstimmung und Fieber vor der Königsetappe

In der vorletzten Etappe des Giro hatte Reusser die Maglia rosa verloren, erlitt einen Einbruch, kam 1:17 Minuten hinter Longo Borghini ins Ziel. Reusser trat in Italien während sechs Etappen souverän auf, war Gesamtleaderin, peilte den ersten Sieg bei einer Grand Tour in ihrer Karriere an. Sie hatte alles im Griff. Doch dann, am Freitagabend, wurde sie krank. Magenverstimmung. Reusser schlief kaum, hatte Fieber, startete am Samstag trotzdem zur härtesten Etappe und schaffte es ins Ziel.

Bis zum Start war offen, ob Reusser zur Schlussetappe am Sonntag würde antreten können. Dort hielt sie den Schaden in Grenzen, allein das ist eine Parforceleistung. Reusser sagt trotzdem: «Die Enttäuschung ist riesig.» Auf dem letzten Teilstück versuchten Reusser und ihr Team auf dem hügeligen Parcours die Leaderin Longo Borghini doch noch zu knacken – ohne Erfolg. Reusser wurde im Schlussspurt der Spitzengruppe Etappen-Dritte, sicherte sich noch einige Bonussekunden. Doch zum Gesamtsieg fehlten ihr 18 Sekunden. Sie sagt: «Ich habe ein Pokerface gebraucht. Es hat zum Glück niemand gemerkt, wie angezählt ich war.»

Sie sei einfach «nur todmüde», müsse sich zuerst von der Erkrankung erholen. Reussers Warten auf den Sieg bei einer der drei wichtigsten Rundfahrten dauert also an, nebst dem Giro gehören dazu die Vuelta und die Tour de France féminin. Einem grossen Triumph war Reusser bereits im vergangenen Mai während der Spanienrundfahrt nahe gekommen. Wie nun am Giro wurde sie auch an der Vuelta Zweite, knapp hinter der zweimaligen Tour-de-France-Siegerin Demi Vollering.

2024 verpasst sie Olympia und die WM – und bangt um die Karriere

Zwischen Vuelta und Giro triumphierte Reusser zum zweiten Mal in ihrer Karriere an der Tour de Suisse, überflügelte dort Vollering. Bei allen Auftritten in diesem Jahr bewies die einstige Zeitfahrspezialistin auch Qualitäten in den Bergen. Das zeigt, dass sie eine Wandlung zur Rundfahrerin vollzogen hat. Dabei bangte Reusser im vergangenen Jahr noch um die Karriere.

2024 hatte sie die Olympischen Spiele und die Weltmeisterschaften in Zürich verpasst. Reusser litt an Long Covid und einem damit verbundenen chronischen Erschöpfungssyndrom. Immer wieder bekam sie plötzlich Fieber und geschwollene Lymphknoten. Trainings oder Rennen waren unmöglich. Ihr Trainer und Partner Hendrik Werner sagte der NZZ Anfang Juni: «Natürlich kommen da Ängste.» Man frage sich, was die Beschwerden für das weitere Leben bedeuteten.

Eine Standardtherapie für Reussers Beschwerden fehlte, die Rennfahrerin machte viel Yoga, unterzog sich mehrmals täglich einer Hypnosetherapie. Bis sie im vergangenen November meldete, sie fühle sich wieder wie vor der Erkrankung. Hinzu kam ein Teamwechsel von SD Worx, wo Reusser sich die Leaderinnen-Rolle mit anderen teilen musste, zu Movistar. In der spanischen Equipe ist Reusser an den drei grossen Rundfahrten Captain.

Die nächste Chance bietet die Tour de France

Der Transfer war das letzte Puzzlestück auf dem Weg zur Spezialistin für Rundfahrten. Der Trainer Werner sagt, Reusser sei schon 2021 und 2022 in den Bergen stark gewesen, habe aber öfter Helferinnen-Dienste verrichten müssen.

Vor der Tour de Suisse im Juni sagte Werner auch: «Wir dürfen träumen.» Die Erfüllung dieses Traums blieb Reusser am Giro d’Italia versagt – doch geplatzt ist er nicht. Reusser dürfte das grosse Ziel vom Sieg einer Rundfahrt irgendwann erreichen. In zwei Wochen beginnt die Tour de France. Viele in der Szene sehen sie auch am wichtigsten Rennen des Jahres als Anwärterin auf den Gesamtsieg.

nzz.ch

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