Lipowitz, Politt, Buchmann: So sind die Deutschen bei der Tour de France in Form

Neun von ursprünglich zehn gestarteten deutschen Radprofis sind nach knapp der Hälfte der 112. Tour de France noch im Rennen. Wie läuft es bisher für Florian Lipowitz und Co. im großen Fahrerfeld und was sind die Perspektiven der Deutschen, wenn es nach dem Ruhetag am Dienstag in der zweiten Hälfte der dreiwöchigen Rundfahrt hinauf auf die ganz hohen Berge der Alpen und Pyrenäen geht?
Florian Lipowitz (8. Platz / +0:03,34 Std.): Fast fährt der Jungstar schon auf einem Niveau mit den ganz Großen. Beim ersten kleineren Kräftemessen am Berg am Montag im Zentralmassiv sprintete der 24-jährige Hoffnungsträger des deutschen Teams Red-Bull-Bora-hansgrohe drei Sekunden hinter den Topfavoriten Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard über die Ziellinie. Lipowitz zeigte zudem ein tolles Zeitfahren, das er als Sechster beendete, blieb ansonsten verlässlich an der Seite vom eigentlichen Teamkapitän Primoz Roglic. Im Gesamtklassement liegt der Ulmer sieben Sekunden vor seinem Chef.
Sein Team ist mit Lipowitz‘ bisheriger Leistung zufrieden und unterstreicht seine herausgehobene Rolle: „Wenn er sich so fühlt, etwas probieren zu wollen und mit den ganz Großen mitzufahren, dann ist es ihm bei seiner ersten Tour mit Sicherheit auch erlaubt. Und das ist ja auch schön für uns zuzuschauen“, sagte Rolf Aldag, der Sportliche Leiter des Teams, nach der zehnten Etappe. Heißt übersetzt aus der Radsportsprache: Sollte es Roglic nicht schaffen, an den ganz Großen dranzubleiben, wenn es ab Donnerstag ins Hochgebirge geht, muss Lipowitz nicht an der Seite seines Kapitäns bleiben. Er solle vielmehr „sein Ding machen“, wie Aldag sagte. Perspektive: Kann Lipowitz auch bei den langen Kletterpassagen mithalten, behält er das Podium im Blick. In jedem Fall ist er ein Kandidat für die Top Ten in der Gesamtwertung.
Emanuel Buchmann (20. / +0:15,41 Std.): Seine Rückennummer 161 weist den ehemaligen Bora-hansgrohe-Hoffnungsträger als Kapitän des Cofidis-Teams aus. Der 32-Jährige, dessen vierter Platz im Gesamtklassement 2019 Anlass zu großen Träumen gegeben hatte, hat jedoch schon viel Zeit verloren. Für Buchmann besonders ärgerlich: Beim ersten Abtasten am Berg am Montag verlor der eigentlich als Kletterspezialist bekannte Fahrer mehr als sechs Minuten auf die Topfavoriten um Pogacar. Der Plan, in der Gesamtwertung vorne dabei zu bleiben, ist nach dem „Scheißtag“ (Buchmann in der ARD) passé. Perspektive: Buchmann sollte auf den anstehenden Hochgebirgsetappen versuchen, eine Ausreißergruppe zu erwischen und um Etappensiege zu fahren.

Hat als Kapitän bislang zu kämpfen: Emanuel Buchmann (links) vom Cofidis-Team.
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Maximilian Schachmann (69. / 0:55,08 Std.): Der zweifache Gewinner der Gesamtwertung von Paris-Nizza (2020, 2021) ist sich seiner Aufgabenvielfalt im belgischen Soudal-Quick-Step-Team bewusst. „Ich habe jeden Tag zu tun. Ich bin wie ein Schweizer Taschenmesser - mal Nachfahren, mal Platzieren im Sprint, mal in die Gruppe gucken oder bei Remco (Evenepoel; d. Red.) bleiben - es wird nicht langweilig“, sagte der 31-Jährige nach der 10. Etappe dem Portal Radsport-News. Bisher tragen Schachmanns Helferdienste zum Erfolg des Teams bei: Doppel-Olympiasieger Evenepoel ist auf Podiumskurs, gewann das erste Zeitfahren und wagte am Montag einen ersten kleinen - noch nicht erfolgreichen - Angriff auf Pogacar. Sprintkapitän Tim Merlier gewann sogar schon zwei Etappen.

"Ich bin wie ein Schweizer Taschenmesser": Maximilian Schachmann beim Zeitfahren auf der fünften Etappe.
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Marius Mayrhofer (81. / 0:59,56 Std.): Der 24-Jährige aus Tübingen fährt seine erste Tour de France. Der Fokus liegt in seinem Tudor Pro Cycling-Team vor allem auf Kapitän und Ex-Weltmeister Julian Alaphilippe (Frankreich), dessen Ausreißversuche ebenso wie die des Australiers Michael Storer bisher jedoch nicht von Erfolg gekrönt wurden. Mayrhofer soll lernen und schwimmt bisher solide mit.

Er soll lernen: Marius Mayrhofer ist zum ersten Mal bei der Tour de France dabei.
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Nils Politt (117. / 1:21,05 Std.): Der Kölner ist zumindest für die Fernsehzuschauer der sichtbarste deutsche Fahrer bei dieser Tour. Als Edelhelfer von Topfavorit Pogacar ist der 31-Jährige dafür zuständig, das Tempo im Hauptfeld zu kontrollieren. Entsprechend ist er bei der Verfolgung von Ausreißergruppen stundenlang an der Spitze des Pelotons unterwegs und somit im Fokus der Kameras. Pogacar, Superstar und Kapitän des Teams UAE Emirates, weiß, was er auf flachen Straßen an Politt hat, der Deutsche sei „einer der besten Edel-Helfer auf der Welt, wenn nicht sogar der Beste für diese Art von Job“. Pogacar ist klar: Will er die Tour zum vierten Mal gewinnen, kommt es auch auf die Tempokontrolle Politts an.

Stundenlang im Fokus der Kameras: Nils Politt kontrolliert das Tempo an der Spitze des Feldes.
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Pascal Ackermann (126. / 1:30,59 Std.): Der 31 Jahre alte Sprinter vom Israel-Premier Tech-Team träumt von seinem ersten Tour-Etappensieg. Doch mehr als zwei Top-Ten-Platzierungen waren bisher nicht drin für den Pfälzer. Sein Problem: Es stehen nur noch drei Flachetappen auf dem Plan. Wirklich planbar ist eine Entscheidung im Massensprint nur noch auf dem finalen Abschnitt nach Paris.

Ihm gehen die Gelegenheiten aus: Sprinter Pascal Ackermann (Mitte).
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Niklas Märkl (129. / 1:33,34 Std.): Der 26-Jährige ist zum ersten Mal bei der Tour dabei, erfüllt sich im Trikot der niederländischen Mannschaft Picnic-PostNL einen „Kindheitstraum“. Sein Job: Helferdienste unter anderem für Kapitän Oscar Onley (Platz 7 in der Gesamtwertung) verrichten.

Erste Tour-Teilnahme: Niklas Märkl im Ziel des Einzelzeitfahrens.
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Jonas Rutsch (137. / 1:37,02 Std.): Der 27-Jährige erlebte seinen Schreckmoment rund 20 Kilometer vor dem Ziel der 8. Etappe. Nach getaner Tempoarbeit kam er mit mehr als 50 Kilometern pro Stunde zu Fall, rettete sich trotz großer Schürfwunden und angeschlagener Schulter als Tagesletzter ins Ziel. Rutsch hoffte anschließend auf die heilenden Kräfte des Ruhetages, „und dann sehen wir weiter“. Zuvor war Rutsch, der in Diensten seines belgischen Intermarché-Wanty-Teams als Helfer von Topsprinter Biniam Girmay unterwegs ist, vor allem mit der Nachführarbeit im Hauptfeld beschäftigt. Durch den sturzbedingten Ausfall von Landsmann Georg Zimmermann hat Rutschs Team eine Option auf einen Etappensieg weniger.

Macht Tempo für seinen Kapitän Biniam Girmay: Jonas Rutsch (links).
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Phil Bauhaus (153. / 1:42,17 Std.): Für den 31 Jahre alten Sprinter gilt das Gleiche wie für Pascal Ackermann. Zwei Top-Ten-Platzierungen stehen bisher für den gebürtigen Bochholter zu Buche. Und die Gelegenheiten für einen Etappensieg werden weniger. Der Fahrer des Teams Bahrain Victorious weiß das einzuschätzen: „Ich bin gut, sehr gut, sonst wäre ich hier nicht bei der Tour. Ich gehöre schon zu den Besten der Welt“, sagte er der ARD in Châteauroux, „aber es ist ähnlich wie in den letzten 50 Jahren Bundesliga, wo die meiste Zeit Bayern gewinnt. Die haben einfach die besten Spieler. Und ich bin einfach nicht der beste Fahrer. Für mich muss alles extrem perfekt laufen, damit ich eine Chance habe.“ Im besten Fall bekommt Bauhaus diese Chance noch dreimal bei dieser Tour.

Wieder knapp geschlagen: Phil Bauhaus (links) nach dem Massensprint auf Etappe drei hinter Sieger Tim Merlier.
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rnd