Psychiaterin erklärt: Wie du erkennst, dass du dich zu viel mit deinen Gefühlen beschäftigst

Einen gesunden Umgang mit den eigenen Gefühlen zu finden, ist wichtig und gesund. Wir können es allerdings auch übertreiben mit der Introspektion. Eine Psychiaterin erklärt, wann wir uns zu viel mit uns selbst beschäftigen.
Wenn wir den Fokus auf etwas legen, dann wirkt es in unserem Kopf oft viel größer, als es eigentlich ist. Das trifft zum Beispiel auf eine juckende Nase zu, wenn wir versuchen, uns nicht zu kratzen, – aber auch auf unsere Gefühle.
"Unsere Gehirne sind erstaunliche Filtermaschinen, die darin geübt sind, riesige Mengen an Reizen auszublenden, die sonst auf einmal zu viel wären", erklärt die Psychiaterin Dr. Samantha Boardman auf "Psychology Today". "Erst wenn wir etwas ins Rampenlicht rücken, gelangt es ins Bewusstsein. Je mehr wir uns auf etwas konzentrieren, desto größer erscheint es uns."
Wir legen das Spotlight auf unsere EmotionenUnd genau das können wir auch im Umgang mit unseren Emotionen erleben. "Es ist nichts falsch daran, die eigenen Gefühle zu fühlen", so die Expertin. "Was mir Sorgen macht, ist, sich auf sie zu fixieren. Wenn wir schwierigen Gefühlen Aufmerksamkeit schenken, wachsen sie in der Regel, anstatt zu verschwinden." Das sei, als würde man Unkraut düngen. Und doch sei es genau das, was uns geraten werde, wenn wir unsere psychische Gesundheit verbessern wollen. "Wenn man darüber nachdenkt, ist das genau das, was manche Therapieformen tun."
"Meiner Erfahrung nach verbringen mental starke Menschen nicht unzählige Stunden damit, sich selbst zu erforschen und zu verstehen", stellt die Psychiaterin klar. "Sie versuchen nicht, sich selbst zu 'finden'." Boardman kenne niemanden, der sich je wirklich selbst gefunden habe – und ihrer Meinung nach sei das auch gut so. "Es bedeutet, dass wir uns alle ständig weiterentwickeln."
Wie unsere Gefühle uns am Handeln hindern könnenÜber das zu sprechen, was einen belaste, könne manchmal hilfreich sein – aber nicht, wenn es dazu führe, dass man sich vor der Realität drücke oder notwendige Schritte vermeide. "Die Wahrheit ist: Du musst deine Gefühle nicht verstehen, um mit deinem Leben voranzukommen."

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Nach Meinung der Expertin sollten wir also im Zweifel weniger Zeit damit verbringen, uns durch unsere Emotionen zu wühlen und sie krampfhaft verstehen zu wollen, und stattdessen ins Handeln kommen.
Wie wir endlich aktiv werden könnenLaut Samantha Boardman tun psychisch starke Menschen in der Regel zwei Dinge:
1. Sie akzeptieren ihre Gefühle – anstatt sich in ihnen zu verlierenSie wissen, dass Gefühle von selbst wieder verschwinden, solange wir sie nicht weiter nähren. Sie verleugnen oder verdrängen ihren Schmerz nicht, aber sie lassen nicht zu, dass er ihr Leben bestimmt.
2. Sie kommen ins Handeln.Ihr Verhalten ist zielgerichtet und bewusst. Sie erkennen, dass sie nicht kontrollieren können, was in ihrem Kopf vorgeht, aber sie können steuern, welche Handlungen sie ausführen. Sie übernehmen Verantwortung für ihr Verhalten, unabhängig davon, wie sie sich fühlen.
Wenn wir unsere Gefühle nutzen, um unser Verhalten zu entschuldigen und uns dafür zu rechtfertigen, was wir tun oder eben nicht tun, wird es laut der Psychiaterin problematisch. "Das ist eine Rationalisierung", erklärt sie. "Nicht um das zu bitten, was man möchte, die Stimme zu erheben oder zuzuhören – all das sind Entscheidungen."
Wir seien zu emotionalen Nimmersatten geworden und würden uns zu sehr darauf verlassen, dass unsere Gefühle uns leiten. "Es ist nichts falsch daran, deine Gefühle zu fühlen – aber gib ihnen nicht das Mikrofon", fasst Samantha Boardman ihren Rat zusammen.
mbl Brigitte
brigitte