Rockfest für den Frieden - Santana, Clapton und der Geist von Woodstock

Er will den Weltfrieden fördern. Mit Musik. Genauer: mit einem neuen Musikfestival. Und wenn der Meistergitarrist Carlos Santana über Musik redet, ist das keine nüchterne Jobbeschreibung. Dann werden - Interviewer kennen das - Freude, Glück und Leidenschaft buchstäblich laut. Dann kann es sogar sein, dass ihm mitten im Satz die Worte ausgehen, er plötzlich singt, eine halbe Minute lang sinnfreie Silben improvisiert und in irrem Tempo aneinanderreiht.
Musik ist für den 77-Jährigen das Mittel, Menschen körperlich, geistig und spirituell zu bewegen und Song um Song eine bessere Welt zu erschaffen. Daran glaubt der Veteran des mythischen Woodstock-Festivals von 1969 aufrichtig. „Wir sind alle eins“ – gemäß der Lehre seines Gurus Sri Chinmoy. Die Ära von „Love & Peace“, in der seine Karriere begann, ist Santana nie wirklich losgeworden. Mit einem globalen, neuen Festival im Geist von „Woodstock“ will er nun daran anknüpfen. Gemeinsam mit dem britischen Gitarrenmeister Eric Clapton. Ein Traum, noch ohne Termin.
„Mit Start in San Francisco, im Golden Gate Park, und dann New York und London“, konkretisierte Santana, der im Sommer mit seiner „Oneness Tour“ nach Europa kommt, das im Interview mit der spanischen Tageszeitung „La Vanguardia“ (und schon zuvor in der „Hamburger Morgenpost“).
Carlos Santana in der spanischen Zeitung "La Vanguardia"
Schaut man auf eine Gegenwart, von der manche Politiker und Historiker schon als „Vorkriegszeit“ reden, erscheint einem dies prinzipiell als eine hervorragende Idee. Zu viele Kriege und aggressive Konflikte, zu viele narzisstische Weltenlenker, die in Wort und Tat alles andere als pazifistisch erscheinen. „Die Welt braucht positive Schwingungen, es gibt zu viel Negatives, zu viel Angst und wütende Menschen“, so sieht das Santana in „La Vanguardia“.
Waren es damals 400.000 Rockfans oder gar eine halbe Million? Die „Woodstock Music & Art Fair“ (15. - 17. Juni 1969) war der Friedenskonzertreigen, der für immer Sinnbild der Hippie-Ära sein wird. Es war ein euphorisches „Dagegen“ - vor allem gegen den Vietnamkrieg, der damals die amerikanische Gesellschaft spaltete. Jimi Hendrix schredderte mit seiner Gitarre zum Abschluss von Woodstock die US-Nationalhymne – ein Mittelfinger gegen das damalige Establishment.
Zwei Monate später brachte die Festnahme der Manson-Family wegen Mordverdachts die Hippiekultur in Misskredit, das Altamont-Festival der Rolling Stones in Kalifornien ging am 6. Dezember 1969 in Gewalt unter. Das „Festival for Peace“ im Shea Stadium der New York Mets sollte am 25. Jahrestag des Abwurfs der Atombombe auf Hiroshima (6. August 1970) 30.000 Leute unter dem Logo der Friedenstaube vereinen, 30 Prozent der Einnahmen gingen an Antikriegsorganisationen.
Der 12-Stunden-Konzertmarathon hatte ein erstklassiges Line-up, das von Creedence Clearwater Revival über Paul Simon bis Janis Joplin (die ein Duett mit Dionne Warwick sang) reichte. Aber es waren nicht einmal 20.000 da, die mit Moderator Peter Yarrow von Peter, Paul & Mary „Give Peace a Chance“ sangen, „so, dass Nixon es hören kann!“
Die „Woodstocks“-Jubiläumsfestivals sind heute von der Geschichte verschluckt, waren kommerzialisierte Events, als Rockmusik längst nicht mehr der Sound der Gegenkultur war. Woodstock 30 war – entgegen dem Spirit des Originals - von Gewalttaten überschattet, Woodstock 50 wurde ganz abgesagt. Mit Ravi Shankars und George Harrisons beiden „Konzerten für Bangladesch“ hatte sich der Rock-Frieden 1971 im Madison Square Garden erstmals erfolgreich im Benefizgewand gezeigt, um Hilfsmittel für Flüchtlinge des Bangladesch-Kriegs finanzieren zu können.
Der Typus des Konzerts für gute Zwecke war die Fortsetzung des Friedensfestivals und gipfelte am 13. Juli 1985 in „Live Aid“ in London und Philadelphia - Rock- und Pop-Charity zugunsten der Hungernden in Äthiopien – da saßen 1,9 Milliarden Menschen an den Bildschirmen, damals 40 Prozent der Weltbevölkerung.
Carlos Santana 2011 in einem Interview mit der „Neuen Presse" Hannover
„Meist hat es mich mit Stolz erfüllt, dabei gewesen zu sein“, sagte Santana, als man ihn 2011 fragte, ob er das Rockfest der Rockfeste auch zuweilen als Bürde empfunden habe. „Woodstock war der Geburtsort eines globalen Bewusstseins. Autoritäten wurden hinterfragt, Religion, Politik.”
Schon damals glaubte er an die Möglichkeit, dass auch der Geist des Original-Festivals zurückkehren könnte. „Es gibt viele junge Musiker und Bands, die von einem Geist der Achtsamkeit geprägt sind“, sagte er der „Neuen Presse“ in Hannover. „Musiker, die einem das Gefühl geben, wir alle sind eine große Familie.“ Stilistisch ist Santana seit je offen für alles - von Jazz über afrikanische Rhythmen bis Hip-Hop. „Das Leben ist Vielfalt, jedenfalls wäre es langweilig für mich, immer nur ein Ding zu machen.“
Ging es in Woodstock pauschal um Frieden, gibt es heute verschiedene Vorstellungen von Frieden. Frieden ist für manche Friedliebende – siehe den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine - der unbedingte. Und sei die Folge auch eine Unterwerfung der Angegriffenen unter das Diktat der Angreifer. Dagegen stehen Befürworter eines sogenannten gerechten Friedens, die alle Forderungen des in diesem Fall russischen Angreifers als illegitim zurückweisen.
Santana selbst scheint in seinem Statement über „wütende Menschen“ auch den sozialen Frieden einzuschließen, der speziell in den USA, wo die Trump-Regierung das demokratische Fundament bearbeitet, so schwer gestört scheint, dass manche Experten sogar von der Möglichkeit eines neuerlichen Bürgerkriegs raunen. Ist Frieden ratsam, wo demokratische Freiheit angegriffen wird? Die Verfechter aller Frieden gehen auf Rockkonzerte. Bleibt die Frage, ob Musik es schafft, allen Friedenssorten eine Chance zu geben, und ob die Anhänger verschiedener Vorstellungen von Frieden untereinander friedlich bleiben.
Musiker, die zwar eine pazifistische Haltung haben, dies aber selten bis nie in ihren Songs spiegelten, können heute auch von ihren Fans überrascht werden. Rod Stewarts Peace-Statement für die Ukraine - Kriegsbilder im Video und ein kerniges „Fuck Putin!“ – löste im Juni 2024 bei seinem Auftritt in Leipzig Buhrufe aus. Anders ist es derzeit bei dem in seinen Texten seit je gesellschaftskritischen Bruce Springsteen, der mit seinen Sätzen gegen die Trump-Administration und über ihre Gefährdung der amerikanischen Demokratie und darüber hinaus der ganzen Welt bei seinen Europakonzerten überall Beifall bekam. Der dafür aber in seiner Heimat laut E-Street-Band-Gitarrist Steven Van Zandt wegen seiner Make-America-Great-Again-Kritik die Hälfte seiner Fans eingebüßt hat.
Der Kollege, mit dem Santana das große Friedensrockfest durchziehen will, ist mit ihm wohl gleichauf im Legendenstatus: Eric Clapton (80) ist einer der großen weißen Verfechter des Blues und ebenfalls ein Virtuose auf der Gitarre – ob mit John Mayalls Bluesbreakers, mit Cream, dem Prototyp der Supergroups oder solo. Er bedauert bis heute, dass er 1969 nicht an den „Drei Tagen von Liebe und Frieden“ beteiligt war.

Eric Clapton gilt als einer der bedeutendsten Blues- und Rock-Gitarristen.
Quelle: IMAGO/Newscom World
Der Musiker fiel aber auch immer wieder durch befremdliche Äußerungen auf - 1976 etwa bei einem Konzert in Birmingham durch Parteinahme für den ultrarechten Polit-Hardliner Enoch Powell und dem rassistischen Ausruf „Keep England white!“ (was mit zur Gründung der Musikbewegung „Rock against Racism“ beitrug). Und in Corona-Zeiten schloss er sich dem Chor der Verrückten an“, wie es der „Rolling Stone“ nannte, „die lächerliche Lügen und Verschwörungstheorien über Covid-Impfstoffe verbreiteten. Er (Clapton) nahm sogar Songs über dieses Thema auf“.
Sieht sich aber in jedem Fall im Dienst des Guten. Dem Youtuber David Spuria aka „The Real Music Observer“ erzählte Clapton im Vorjahr in einem Gespräch, in dem er zuvor eine Lanze für den israelkritischen, dabei immer wieder unter Antisemitismusverdacht geratenen Roger Waters (Pink Floyd) gebrochen hatte, „dass ich eine Botschaft der Hoffnung, der Liebe, des Friedens und der Freiheit überbringe”. Dies sei seine Verantwortung als Musiker. Über das von Santana anvisierte gemeinsame Friedensfestival gibt es seitens Clapton bislang noch keine Wortmeldung.
Umso mehr von Santana. „Man gewinnt nicht mit Bomben, man gewinnt mit Liebe. Und ich will Musik machen, damit die Menschen sich darauf besinnen, dass wir in der Lage sind, Frieden auf diese Erde zu bringen - und zwar jetzt, in unserer Zeit“, sagte der Musiker, der sich „stärker denn je“ fühlt.
Noch ist alles vage, noch gibt es keine Daten, keine Liste von Künstlerinnen, Künstlern und Bands. Aber nach Santanas Worten laufen schon vorbereitende Gespräche. Santana bringt nicht nur die Energie und den Glauben mit, sondern ist auch bestens vernetzt. Ruft Santana, kommen die Stars. Das ist schon immer so.
rnd