Neue Bundesregierung will gegen Ticket-Wucher bei Konzertkarten vorgehen

Eine Kampfansage an die Freibeuter des Veranstaltungsgeschäfts steht im frisch unterschriebenen Koalitionsvertrag. Die am Dienstag mit Ernennungsurkunden versehene Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD hat vor, „Verbraucher vor überhöhten Preisen, Intransparenz und betrügerischen Verkaufspraktiken zu schützen und Veranstalter besser in die Lage zu versetzen, sich gegen unlauteres Verhalten von Ticketspekulanten zur Wehr zu setzen.“ So liest man es auf Seite 87 des Papiers. Knappe sieben Zeilen für das uralte Problemfeld „Ticketzweitmarkt“.
Früher, vor dem Internet-Zeitalter, lief diese Gaunerei noch komplett analog. Ticket-Schwarzhändler standen am Tag eines Events zuhauf in der Nähe der Hallen und Stadien, hielten zig Karten für ausverkaufte Konzerte von Paul McCartney, AC/DC oder Tina Turner wie Fächer in den Händen und strichen unanständige Summen von denjenigen ein, die es nach dem Vorverkaufsstart nicht rechtzeitig in den Ticketshop geschafft hatten.
Ab und an lief dieser Handel auch gut für die Käufer. Beim zweiten Konzert von Bruce Springsteen 1992 in der Frankfurter Festhalle bekam man eine Karte für zehn D-Mark (offizieller Preis 53 Mark). Der Boss hatte damals eine andere Combo als die E-Street-Band im Tourbus, dazu zwei nur passable Alben im Gepäck. Das wollten nicht so viele erleben wie sonst. Die Schwarzhändler hatten sich verrechnet.
Rechtlich ist diesen Leuten bisher schwer beizukommen, die Eintrittskarte für Kultur- oder Sportereignisse ist ein Wertpapier, mit dem im Grunde gehandelt werden kann wie mit jedem anderen Wertpapier. Die Veranstaltungsbranche versuchte, den gewerblichen Zweitverkäufern das Geschäft zu verderben.
So wurden Restkontingente an Karten zurückgehalten, die erst kurz vor der Show in den Verkauf kamen. Man begrenzte den Verkauf auf wenige Tickets pro Person. Es kamen personalisierte Karten auf: Der Name des Käufers wird aufgedruckt, er muss sich dann noch zusätzlich ausweisen, um aufs Gelände oder in die Halle zu kommen. Die Zahl der Schwarzhändler vor Ort hat deutlich nachgelassen.
Aber das unredliche Geschäft, dem die Regierung beikommen möchte, blüht weiter, vornehmlich im Internet. Die Schwarzhändler verkaufen ihre Ware überwiegend auf Zweitmarkt-Plattformen. Auf einigen dieser Ticketbörsen können sie den Preis selbst bestimmen. Bei sogenannten Ticketsuchportalen zahlt der Kunde obendrein noch Geld für die Fahndung nach den ersehnten Karten.
Johannes Fechner, Parlamentarischer Geschäftsführer und Justiziar der SPD-Bundestagsfraktion
„Man bekommt bei manchen Zweitticketbörsen Karten für das Fünffache, im Extremfall geht es bis zum Zehnfachen des ursprünglichen Preises“, weiß Johannes Fechner, Parlamentarischer Geschäftsführer und Justiziar der SPD-Bundestagsfraktion im 21. Deutschen Bundestag im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Da werden jährlich zig Millionen Euro Gewinne eingefahren. Diese Abzocke wollen wir beenden.“
„Wir wollen es den Veranstaltern ermöglichen, in den allgemeinen Geschäftsbedingungen Obergrenzen für den Weiterverkauf festzulegen – etwa, dass ein Aufschlag nur bis maximal 30 Prozent möglich ist“, führt der Abgeordnete aus. Hier bestünde Rechtsunsicherheit. Der Kunde eines Zweitmarktportals soll künftig den Zweitmarktpreis mit dem Originalpreis vergleichen können, auch soll Transparenz hergestellt werden.
Beim Kauf von Tickets auf dem Ticketzweitmarkt wissen die Kunden oft nicht einmal, dass es sich beim gewählten digitalen Kartenladen um ein solches Zweitmarktportal handelt. Sie erfahren bisher auch nicht, wer ihnen die Karten dort verkauft hat. Nicht nur das soll sich ändern. „Wir brauchen ein sogenanntes ,Notice and take down‘-Verfahren“, so Fechner. „Wenn der Tickethändler den Hinweis bekommt, dass bei ihm ein zu hoher Preis verlangt wird, muss er dieses Angebot herausnehmen.“ Bei Verstoß würde eine Vertragsstrafe fällig.
Werden da von der Regierung mafiöse Strukturen bekämpft? „Beweisen kann ich das nicht“, meint Fechner, „aber es deutet einiges darauf hin. Es gibt Berichte darüber, dass Onlinehändler Leute beauftragen, Software kreieren zu lassen, um haufenweise Tickets zu kaufen und sie dann für ein Mehrfaches weiterverkauft haben.“
Auf dem digitalen Zweitmarkt für Tickets gibt es neben Wucher auch Betrug. Es kursieren gefälschte Tickets, die vom Kontrollpersonalmeist schon beim Einlass als solche erkannt werden. Käufern werden auch personalisierte Tickets angeboten, mit denen sie ebenfalls am Eingang abgewiesen werden. Und es gibt Fake-Tickets für Veranstaltungen, die es gar nicht gibt. „Hier muss der Gesetzgeber nichts verschärfen. Betrug ist strafbar“, erklärt Fechner. „Der Kunde muss das nur anzeigen, denn die Staatsanwaltschaft braucht einen Hinweis, um tätig zu werden.“
Wäre es nicht einfacher, den Zweitmarkt ganz zu verhindern? „Auf keinen Fall“, sagt der SPD-Politiker. Man wolle daraus auch keinen generellen Straftatbestand machen. Fechner denkt dabei vor allem an die privaten Weiterverkäufer. „Man kann krank werden, ein wichtiger Termin kommt einem dazwischen – da muss es die Möglichkeit geben, sein Ticket weiterzuverkaufen.“
Empfohlen werden Kaufinteressierten generell – falls eine Veranstaltung ausverkauft ist - offizielle Ticketingunternehmen mit Secondhand-Portal. Der deutsche Marktführer Eventim etwa betreibt die Vermittlungswebsite fansale.de, auf der Karten von Fan zu Fan verkauft werden. Wird der offizielle Preis verlangt oder liegt er sogar darunter, erkennt der Kunde das an einem blauen „Fair Deal“-Button.
Das jüngste Mittel der Veranstalter, sich gegen die gewerblichen Zweitverkäufer zu wehren, ist „Dynamic Pricing“, das Flugreisende schon lange kennen: frühes Buchen, günstige Preise, spätes Buchen – hohe Preise.
Dieses dynamische, in erster Linie natürlich zur Gewinnsteigerung gedachte Preismanagement passt Ticketpreise der augenblicklichen Nachfrage an. Wollen viele Menschen gleichzeitig Tickets, steigt der Preis in Echtzeit. Vom Anklicken der Plätze bis zum digitalen Kassengang kann er sich um ein Mehrfaches erhöhen. Auch Kundendaten werden ausgewertet: Wer bislang bereit war, viel Geld für Karten zu zahlen, wird das wohl auch weiter tun. So läuft das in den USA schon länger.

Teures Vergnügen: 2022 sollte ein Ticket in der Spitze zum Bruce Springsteen-Konzert 5500 Dollar kosten.
Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Der Kartenverkäufer Ticketmaster, der in den USA 2010 mit dem Veranstaltungsgiganten Live Nation fusionierte (gegen den Zusammenschluss läuft eine Kartellklage des US-Justizministeriums), machte 2022 mediales Furore, als Karten für Bruce-Springsteen-Auftritte via Dynamic Pricing in der Spitze 5500 Dollar kosteten. Die „New York Times“ zitierte damals einen Tweet von Bill Werde, von 2008 bis 2014 Redaktionsleiter des „Billboard“-Magazins: „Kaum zu glauben, dass Bruce Springsteen derjenige ist, der die Musikfans dazu bringt, die Schwarzhändler zu vermissen.“
Bill Werde, Ex-Redaktionschef
In Deutschland bietet Ticketmaster auch Dynamic Pricing an. Hier gab es aber bisher keine ausufernden Kartenpreise, wohl, weil es ausreichend Konkurrenz gibt. Das System ist aber verlockend. Bei Tests wurden laut Institut für Handelsforschung mithilfe eines komplexen Pricing-Algorithmus Ertragssteigerungen von bis zu 8 Prozent nachgewiesen.
Ein Argument, das für Dynamic Pricing ins Feld geführt wurde, war nun, dass damit die Lukrativität des Schwarzmarktgeschäfts stark verringert würde. Könnte sich das System in Deutschland durchsetzen, würde der Fan, der bislang die Zweithändler bereicherte, weiterhin zum Teil sehr hohen Preisen ausgesetzt sein. Nur würde er in diesem Fall von den offiziellen Kartenverkäufern ausgenommen. Im Mai 2022 schon hatte Michael Rapino, Geschäftsführer von Live Nation Entertainment laut „New York Times” in dem Wirtschaftspodcast „The Compound and Friends“ zum Ausdruck gebracht, dass die von Fans bezahlten Preise der Schwarzhändler den Straßenwert vieler Tickets darstellten. Rapinos Argument: „Warum sollte der Künstler nicht das meiste von diesem Überschuss einfangen?“
„Eine Konzertkarte muss auch für Normalverdiener bezahlbar bleiben“, postulierte Eventim-Chef Klaus-Peter Schulenberg im März in einem Interview mit der Online-Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Sein Unternehmen setze kein algorithmusgestütztes Dynamic Pricing ein - bis dato. „Persönlich habe ich bei dem Thema auch eher traditionelle Ansichten: Wer als Erster in der Schlange steht, sollte auch den besten Platz bekommen“, sagte der Unternehmer. Räumte dann aber ein: „Die Zukunft sieht vermutlich anders aus.“
Dr. Johannes Fechner, MdB
Außer, die Bundesregierung schreitet auch hier ein. „Dynamic Pricing ist nach heutiger Rechtslage zulässig, eine Art Versteigerung“, wehrt Justiziar Fechner ab. Er sieht hier zwar keine Chance für eine gesetzliche Regelung, empfiehlt aber eine andere Lösung: „Am wirksamsten wäre es, dort, wo Konzerthallen oder Open-Air-Spielstätten in öffentlicher Hand sind, in den Pachtverträgen mit den Veranstaltern Dynamic Pricing zu untersagen.“ Sehr viele der großen Veranstaltungsstätten in Deutschland seien in öffentlicher Hand.
Sonst sieht Fechner es ähnlich wie Schulenberg: „Alle Musikfans, alle Sportfans sollen ihre Lieblingsmannschaft und ihre Lieblingskünstler sehen können. Kultur ist für alle da. Sport ist für alle da. Deswegen keine Abzocke bei Tickets!“
Es sei ihm ein persönliches Anliegen gewesen, das Thema im Koalitionsvertrag unterzubekommen – in der letzten Wahlperiode habe die FDP, die das Justizministerium innehatte, Maßnahmen blockiert. Jetzt könne der „wichtige Teilverbraucherschutz“ kommen. Möglicherweise schon im nächsten Jahr. „Juristisch gesehen ist das kein Hexenwerk.“
rnd