Fit im Alter – braucht man dafür zwingend Nahrungsergänzung?

Eine Vitamin C-Tablette für das Immunsystem, eine Fischölkapsel für das Herz, eine Knoblauchpille für das Gedächtnis: Jeder zweite Mensch in Deutschland greift regelmäßig zu Nahrungsergänzungsmitteln. Die Apotheken setzen laut dem Informationsdienst IQVIA jährlich 3,1 Milliarden Euro damit um, dazu kommen noch die Verkäufe in Drogerien, Supermärkten und im Internet.
Ein Handel, der sich lohnt: Ständig kommen neue Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt. Allein in Deutschland wurden 2024 mehr als 12.600 neue Produkte beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit registriert. Ein einträgliches Geschäft, das nicht zuletzt älteren Menschen geistige und körperliche Fitness verspricht.

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Angela Clausen, Leiterin des Teams „Lebensmittel im Gesundheitsmarkt“ der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen
„Seniorinnen und Senioren, die eine chronische Krankheit oder häufige Magen-Darm-Probleme haben, sollten sich ärztlichen Rat holen“, meint Angela Clausen, Leiterin des Teams „Lebensmittel im Gesundheitsmarkt“ der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Ansonsten gilt: Die Gruppe der rüstigen 65plus hat kaum einen anderen Nährstoffbedarf als jüngere Erwachsene.“
Entscheidend ist laut Clausen ein abwechslungsreicher Speiseplan. Die Fachfrau erklärt: „Im Alter verändert sich der Körper nicht nur äußerlich, auch der Stoffwechsel verlangsamt sich, und der Körper verliert Muskelmasse. Ältere benötigen deshalb weniger Kalorien.“ Das heißt: Sie essen in der Regel weniger. Ihr Fazit: „Damit kein Defizit an Vitaminen und Mineralstoffen entsteht, muss ihre Ernährung besonders ausgewogen und hochwertig sein.“

Für die Gruppe 65+ wirbt die Industrie mit einer Vielzahl an Nahrungsergänzungsmitteln. „Durch die zunehmenden kleinen und großen Beschwerden wird man dafür schnell empfänglich“, weiß Clausen. Produkte für mehr Vitalität, für glattere Haut und gegen die Vergesslichkeit: Doch wie sehr darf man diesen Werbeversprechen trauen? Und was sind Nahrungsergänzungsmittel eigentlich?
Nahrungsergänzungsmittel – auch Supplements genannt – sind meist Nährstoffe wie Mineralstoffe, Vitamine oder Pflanzenextrakte, die frei verkäuflich in Form von Tabletten, Kapseln und Pillen angeboten werden. Rechtlich handelt es sich dabei nicht um Medikamente, sondern um Lebensmittel. Das heißt: Die Ware wird nicht extern überprüft. Die Hersteller müssen ihre Produkte lediglich beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit anzeigen.
„Viele der angeblich positiven Wirkungen sind wissenschaftlich nicht erwiesen“, weiß die Ernährungswissenschaftlerin. So gebe es beispielsweise keinen Beleg dafür, dass die Einnahme von Vitamin- oder Mineralstoffpräparaten oder bestimmten Fettsäuren bei älteren Menschen die geistige Fitness erhält oder einer Demenz vorbeugt. „Der unkontrollierte Griff zu Nahrungsergänzungsmitteln kann sogar gefährlich sein.“
Problematisch sei beispielsweise eine Überdosierung von Vitamin D. „Normalerweise bildet der Körper Vitamin D mithilfe des Sonnenlichts selbst. Die ältere Haut kann im Vergleich zu jüngerer Haut jedoch weniger Sonnenlicht verwerten.“ Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt deshalb Seniorinnen und Senioren über 65 Jahren, die wenig Zeit im Freien verbringen, täglich bis zu 20 Mikrogramm Vitamin D über Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen.
„Am besten nach Rücksprache mit dem Arzt“, rät Clausen. „Denn eine Überdosierung von Vitamin D kann zu einem erhöhten Kalziumspiegel im Blut führen – mit Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Muskelschwäche, Bauch- und Kopfschmerzen.“ Wenn sich das fettlösliche Vitamin langfristig im Körper anreicht, müsse man sogar mit schweren Nierenschäden, Herzrhythmusstörungen sowie Verkalkungen von Organen rechnen.
Auch bei der Einnahme von Brausetabletten sollte man vorsichtig sein, warnt die Expertin. „Sie können bei Menschen mit hohem Blutdruck gefährlich sein. Denn sie enthalten zum Sprudeln verstecktes Natrium, das den Blutdruck weiter erhöht.“ Bedenken gäbe es außerdem bei Magnesium-Präparaten, die angeblich bei Wadenkrämpfen helfen sollen. „Das ist nicht bewiesen“, weiß Clausen. „Belegt ist jedoch, dass es bei zu hoher Dosierung zu Magen-Darm-Problemen kommen kann.“
Nicht zuletzt rät die Verbraucherzentrale zu Vorsicht bei Produkten aus dem Internet, bei denen eine Gefährdung durch illegale Zutaten, natürliche Giftstoffe oder Bakterien besteht.
So gibt es im Europäischen Schnellwarnsystem für Lebensmittel RASFF regelmäßig Warnungen vor potenziell gefährlichen Nahrungsergänzungsmitteln, die auch über deutschsprachige Internetseiten angeboten werden. Der größte Teil der Produkte stammt aus den USA, Kanada, Asien und Osteuropa, bei denen unter anderem Schwermetalle wie Arsen, Blei oder Quecksilber sowie krebserregende aromatische Kohlenwasserstoffe festgestellt wurden.
Neben gesundem Essen und ausreichend Trinken rät Verbraucherschützerin Claußen den rüstigen Älteren deshalb zu ...
1 … viel Bewegung an der frischen Luft, damit die Haut UVB-Licht aufnehmen kann. Auch ausreichend Schlaf ist wichtig.
2 … regelmäßigem Krafttraining, damit die Muskulatur nicht übermäßig abbaut und man gesunden Appetit verspürt. Wichtig dabei: genügend Eiweiß. Ab 65 Jahren erhöht sich der Bedarf auf ein Gramm pro Kilogramm Körpergewicht.
3 … einer ausreichenden Jod-Versorgung. Hilfreich dabei: Fischgerichte sowie jodiertes Speisesalz verwenden. Industriell verarbeitete Lebensmittel enthalten oft unjodiertes Salz.
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