Mindestlohnerhöhung: Bauernpräsident warnt vor Ende des Weinanbaus

Berlin. Mehrere Branchenverbände erwarten durch die Erhöhung des Mindestlohns steigende Preise für Verbraucherinnen und Verbraucher. „Wir gehen davon aus, dass die Preise für heimische Erzeugnisse – wie Erdbeeren oder Spargel – ansteigen werden“, sagte Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Der Mindestlohn soll im kommenden Jahr auf 13,90 Euro und 2026 auf 14,60 Euro pro Stunde steigen. Das hat die Mindestlohnkommission empfohlen und Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) möchte diesem Vorschlag folgen. Aktuell liegt die Lohnuntergrenze bei 12,82 Euro pro Stunde.
Neben höheren Verbraucherpreisen warnen die Verbände auch vor einer sinkenden Wettbewerbsfähigkeit und Abwanderungen ins EU-Ausland.
Bauernpräsident Rukwied glaubt, dass ein Mindestlohn von 14,60 Euro dafür sorgen werde, dass viele Obst-, Gemüse- und Weinbaubetriebe dem Wettbewerb innerhalb der EU nicht standhalten können. „Handarbeitsintensiver Weinbau an Steillagen wird verschwinden“, sagte Rukwied. Damit werde sich das Landschaftsbild in vielen Urlaubsregionen verändern. Als Steillagenweinbau wird der Weinbau in extremen Hanglagen bezeichnet, in denen keine Bewirtschaftung mit Traktoren möglich ist.
„Wir brauchen eine Sonderregelung für die Landwirtschaft“, forderte der Bauernpräsident. Der Verband schlägt vor, Saisonarbeitskräften nur 80 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns zu zahlen, da sie ihren Lebensmittelpunkt außerhalb der Erntezeit nicht in Deutschland haben. Das Bundesarbeitsministerium lehnt dies allerdings ab.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) schlägt ebenfalls Alarm. „Es ist zu befürchten, dass die deutliche Mindestlohnerhöhung steigende Preise zur Folge hat. Am Ende verlieren alle“, sagte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.
Auch der HDE-Chef erwartet eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und warnt davor, dass zahlreiche Beschäftigte ihren Job verlieren könnten. „Zwei Drittel der von uns befragten Unternehmen rechnen bei einer deutlichen Erhöhung des Mindestlohns mit negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung bis hin zu Entlassungen“, sagte Genth. Der Verband hatte nach eigenen Angaben noch vor der Entscheidung der Mindestlohnkommission am 27. Juni rund 550 Handelsunternehmen dazu befragt.
„Die Branche befindet sich seit sechs Jahren in der Rezession beziehungsweise Stagnation. Immer weiter ansteigende Arbeitskosten können wir uns in diesem schwierigen Umfeld schlicht nicht leisten“, so Genth. „Das Mindeste, das wir als Branche jetzt erwarten, wäre ein ganz klares Bekenntnis der Politik zur 40-Prozent-Obergrenze bei den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen.“
Das Gastgewerbe erklärte ebenfalls, auf die steigenden Personalkosten reagieren zu müssen. „Um wirtschaftlich arbeiten zu können, werden die Betriebe ihr Angebot genauestens prüfen, Einsparpotenziale ausloten und abwägen, ob und in welchem Umfang Preisanpassungen notwendig sind“, sagte Sandra Warden vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) dem RND.
Zudem seien durch die Mindestlohnerhöhung Jobs in Gefahr: „Unternehmen werden prüfen, wo und wie sie beispielsweise durch Digitalisierung oder Automatisierung den Personalbedarf reduzieren können.“

Der steigende Mindestlohn setzt die Unternehmen unter Druck und bei den Geringverdienern kommt nicht genug an. Der Aufschwung droht steckenzubleiben, bevor er richtig eingesetzt hat.
Die Arbeitskosten im Gastgewerbe seien in den vergangenen zwei Jahren bereits um 34,4 Prozent gestiegen. Zudem sei die Branche sehr personalintensiv. In vielen Betrieben machten die Personalkosten 40 Prozent der Gesamtkosten aus. „Nach einer Dehoga-Umfrage rechneten im April fast 40 Prozent der Betriebe damit, im laufenden Jahr in die Verlustzone zu rutschen“, sagte Warden.
Deshalb fordert der Verband schnelle Entlastungen von der Politik. „Damit gutes Essen bezahlbar bleibt, kommt es umso mehr darauf an, dass die im Koalitionsvertrag und Sofortprogramm vereinbarten Entlastungen für die Branche jetzt schnellstens umgesetzt werden, insbesondere die überfällige einheitliche Besteuerung von Essen mit 7 Prozent“, so Warden.
„Die erneute deutliche Anhebung des Mindestlohns wird in einer ohnehin inflationsanfälligen Zeit weitere Preissteigerungen anstoßen und letztlich auch für Verbraucher spürbar werden“, sagte Polina Zavadska, Sprecherin des Bundesverbands Spedition und Logistik (DSLV).
Logistikunternehmen gerieten unter zusätzlichen wirtschaftlichen Druck. Der Mindestlohn entkoppele sich zunehmend von der Produktivität der Betriebe, bringe das Tarifgefüge ins Wanken und führe letztlich zur weiteren Automatisierung und Personalabbau.
„Durch die stark steigenden Personalkosten kann es zu einem weiteren Abbau von Arbeitsplätzen kommen – gerade bei Beschäftigten ohne Ausbildung oder Schulabschluss“, sagte Zavadska. „Der von der Bundesregierung angekündigte Investitions- und Wachstumsbooster kann so nicht zünden.“

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Auch die Forscher des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) rechnen mit Preissteigerungen. „Da vor allem arbeitsintensive Dienstleistungen von den höheren Mindestlöhnen betroffen sind, wird es etwa in der Gastronomie, beim Bäcker oder beim Friseur Preiserhöhungen geben“, sagte Hagen Lesch, Leiter des Themenclusters Arbeitswelt und Tarifpolitik, dem RND. Außerdem könnten manche Gastronomiebetriebe und Bäckereien schließen oder ihr Angebot einschränken, etwa durch kürzere Öffnungszeiten.
Für die Gesamtinflation erwartet Sebastian Dullien, Direktor des gewerkschaftsnahen Wirtschaftsforschungsinstituts IMK, keinen deutlichen Anstieg. „Für die Verbraucherinnen und Verbraucher sind keine spürbaren Auswirkungen der Mindestlohnerhöhung zu erwarten“, sagte Dullien.
Das begründet er damit, dass die Summe der Mindestlöhne nicht groß genug ist, um bei den anstehenden Erhöhungen einen spürbaren Effekt auf die Gesamtinflation auszulösen. „Insofern steigern die beschlossenen Erhöhungen ganz konkret die Kaufkraft der vom Mindestlohn betroffenen Beschäftigten“, so Dullien.
Lesch stimmt dem zu: „Die Erhöhung liegt bei fast 14 Prozent, während die Preise im gleichen Zeitraum um 4 bis 4,5 Prozent zunehmen dürften. Das bedeutet ein sattes Reallohnplus.“ Einen positiven gesamtwirtschaftlichen Effekt erwarten beide allerdings nicht.
rnd