Lauwarme Betten: Firmen hebeln mit bewirtschafteten Apartments die Zweitwohnungsinitiative aus


In den Schweizer Alpen wird rege gebaut: «Im Herzen von Davos ist ein Resort geplant, das modernen Lifestyle mit Wohlbefinden und Gesundheit verbindet», schreiben die Verantwortlichen von «Elevation Davos». Das Projekt umfasst 120 Ferienwohnungen, fast alle mit 3,5 Zimmern. Die Preise liegen zwischen 1,1 und 1,7 Millionen Franken pro Apartment.
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In San Bernardino, das wiederbelebt werden soll, gibt es 86 «hochwertig eingerichtete» Alpine Apartments: 2,5-Zimmer-Wohnungen ab 470 000 Franken, 3,5-Zimmer bis 1,1 Millionen Franken. Verglichen mit anderen Destinationen, sind diese Preise moderat. In Andermatt entstehen bis 2027 «mitten in der Altstadt» 19 «luxuriöse Markenresidenzen» für 2,7 bis 8 Millionen Franken.
Die Bautätigkeit erstaunt, denn mit der Zweitwohnungsinitiative von 2012 wurde der Bau weiterer Ferienwohnungen in Bergkantonen faktisch untersagt. Artikel 75b der Bundesverfassung begrenzt den Anteil von Zweitwohnungen auf höchstens 20 Prozent des Wohnungsbestands.
Diese Quote ist in den meisten Ferienorten längst erreicht. Die Wohnungen dürfen nur deshalb gebaut werden, weil sie als «touristisch bewirtschaftete Wohnungen» gelten, die das Zweitwohnungsgesetz von 2015 erlaubt. Voraussetzung ist, dass die Apartments «nicht auf persönliche Bedürfnisse der Eigentümer» zugeschnitten sind und «im Rahmen eines strukturierten Beherbergungsbetriebs» bewirtschaftet werden.
Das bedeutet: Eigentümer dürfen ihre Wohnungen nicht selbst einrichten, sondern müssen die Ausstattung der Betreiber akzeptieren. Zudem verpflichten sie sich, die Wohnung mehrere Wochen pro Jahr an Dritte zu vermieten.
Ein Konzept mit vielen Vorzügen«Das Konzept erfreut sich bei Touristikern steigender Beliebtheit», sagt Peder Plaz, Partner bei Hanser Consulting, einem der grössten Tourismusberater der Schweiz. Ferienwohnungen sind nach wie vor hoch im Trend, besonders bei Familien. «Die Leute kommen mit viel Material. Eine Ferienwohnung ist oft praktischer als ein Hotelzimmer.»
Die Nachfrage ist da. Normale Zweitwohnungen, die sehr teuer sind, werden jedoch seltener vermietet. Plaz: «Wer sich eine solche Wohnung leisten kann, ist meist nicht auf Mieteinnahmen angewiesen.» Die Eigentümer scheuen oft den Aufwand der Vermietung.
Für Schweizer Immobilien- und Tourismusunternehmer bieten bewirtschaftete Wohnungen Vorteile. Wegen hoher Lohnkosten ist es schwierig, mit Hotels international konkurrenzfähig zu sein. Ferienwohnungen, deren Besitzer und Mieter kaum Dienstleistungen beanspruchen, ermöglichen wettbewerbsfähige Preise.
Die Risiken für Unternehmer sind ebenfalls geringer. «In den Alpen verdienen nicht jene das grosse Geld, die touristische Dienstleistungen anbieten, sondern jene, die Immobilien bauen und verkaufen», sagt Plaz. Ein Hotelbetrieb bringt hohe Risiken und meist geringe Rendite. Der Verkauf von Zweitwohnungen hingegen ist mit geringem Verlustrisiko und attraktiven Renditen verbunden.
Kritik von Fondation Franz WeberDas wissen auch Banken. Sie sind bei Hotelkrediten zurückhaltend. Für Touristiker ist es deshalb naheliegend, Kapital bei Privaten zu holen.
Ein Beispiel ist die Privà Alpine Lodge in Lenzerheide. Deren Besitzerin, das Immobilienunternehmen Fortimo AG, hat sich nach elf Jahren dazu entschlossen, die Wohneinheiten als Stockwerkeigentum mit Vermietungszwang zu verkaufen. Die Pächterin Revier Hospitality Group schreibt: «Bankenfinanzierungen werden immer schwieriger, und gebundene Eigenmittel sind eine Herausforderung.»
Die Fondation Franz Weber, die bei der Zweitwohnungsinitiative eine zentrale Rolle spielte, beobachtet den Boom der bewirtschafteten Ferienwohnungen kritisch. Präsidentin Vera Weber bestätigt, dass das Konzept grundsätzlich mit dem Zweitwohnungsgesetz vereinbar sei und «warme Betten» schaffen sollte. In der Praxis werde es aber oft genutzt, um das Gesetz zu umgehen.
Das Problem: Nach Fertigstellung sei oft nicht überprüfbar, ob Eigentümer die Nutzungsbegrenzung einhielten und ob die Wohnungen tatsächlich an Dritte vermietet würden.
«Bei genauer Prüfung zeigen sich erhebliche Lücken und Grauzonen», sagt Weber. Kommerzielle Konzepte seien teilweise knapp oder gar nicht vorhanden. Auch die «allgemeinen» Einrichtungen – Voraussetzung für «touristisch bewirtschaftete Wohnungen» – seien oft minimalistisch und ihre Nutzung unrealistisch.
Eigennutzung zwischen 4 und 35 WochenDie Konzepte sind tatsächlich sehr unterschiedlich. Ein Blick auf die Nutzungsbestimmungen zeigt dies.
Wer eine Wohnung in der Privà Alpine Lodge kauft, darf das Apartment nur vier Wochen pro Jahr nutzen, davon maximal zwei Wochen in der Hauptsaison. Im Resort Davos Elevation ist die Eigennutzung auf «insgesamt sechs Wochen in den Hauptzeiten» begrenzt, jeweils drei Wochen im Winter und im Sommer.
Im Post Hotel & Residences in Andermatt sind «12 Wochen persönliche Nutzung» erlaubt. In San Bernardino steht das Apartment bis zu 35 Wochen pro Jahr zur Verfügung – aber nur drei Wochen in der Hochsaison. Das Rockresort in Laax hat ähnlich grosszügige Vorschriften zur Eigenbelegung.
Solche Regelungen sind umstritten. «Es gibt rechtliche Grauzonen», sagt der Tourismusprofessor Jürg Stettler von der Hochschule Luzern. Am Ende werden Gerichte entscheiden, was eine «touristisch bewirtschaftete Wohnung» ist – und was eine verkappte Zweitwohnung. Die Fondation Franz Weber ist bereits aktiv: «Wir haben uns gegen ein ähnliches Projekt in Wengen ausgesprochen.»
Die Lex Koller gilt ebenfalls nichtEine andere Frage ist, ob sich das Immobilieninvestment für die Käufer finanziell auszahlen wird. Die Entwickler versprechen viel: In Andermatt wird für drei Jahre ein Return on Investment von fünf Prozent garantiert. In Lenzerheide wird eine «ansprechende Rendite» in Aussicht gestellt. In San Bernardino lockt der Investor Stefano Artioli mit stark steigenden Immobilienpreisen.
Tourismusexperte Plaz zweifelt: «Wenn viele Projekte gleichzeitig auf den Markt kommen, ist das für die Auslastung nicht vorteilhaft.» Es drohen kalte Betten, was die Rendite schmälert – und zudem dem Sinn und Zweck der Zweitwohnungsinitiative zuwiderlaufen würde.
Zumindest ein Teil der Käufer dürfte aber auch mit geringen Renditen leben können. Der Grund: Die bewirtschafteten Zweitwohnungen können auch von Ausländern gekauft werden. Für sie gilt der Immobilienerwerb in der Schweiz als sichere Anlage, nicht zuletzt wegen des starken Frankens. Die Lex Koller, die den Erwerb für Ausländer verbietet, gilt bei touristisch bewirtschafteten Wohnungen nicht.
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