KOMMENTAR - Die Atomgegner frohlocken zu früh: Wenn die Schweiz wirklich ein neues Kernkraftwerk will, kann sie es auch bekommen


Es waren gute Nachrichten für die Atomgegner in der Schweiz: In einer am Dienstag veröffentlichten Studie der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) stand, dass neue Atomkraftwerke teuer würden. Und aufgrund der politischen Hürden für ein Projekt sei es unrealistisch, dass vor 2050 ein neues Kernkraftwerk fertig gebaut sei.
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Für Greenpeace war damit alles gesagt. Die Schweiz müsse sich gar nicht erst mit neuen Kernkraftwerken beschäftigen: Das AKW-Neubau-Verbot dürfe nicht aufgehoben werden, schrieb die Organisation. Kaum hat die Debatte um Atomenergie begonnen, soll sie schon wieder vorbei sein.
Es ist gut, dass eine Studie die Hindernisse beim Bau neuer AKW klar benennt. Sie führt nur Probleme ins Feld, die sich lösen lassen. Wenn das Volk ein neues Kernkraftwerk will, kann es auch eines bekommen.
Staatlich finanziert? Das war doch allen klarDie Autoren der Studie schreiben, dass neue Atomkraftwerke teurer seien, als wenn man die gleiche Leistungskapazität mit Erneuerbaren zubaue. Sie betrachten aber nur die Produktionskosten und nicht die Kosten für das ganze Energiesystem.
Ein Strommix mit einem hohen Anteil an Erneuerbaren braucht hohe Investitionen in Speicherkapazitäten und das Stromnetz. An eine Gesamtsicht wagten sich die Autoren aber gar nicht erst heran – zu komplex, weil zu viele Annahmen dafür nötig wären, sagen sie. Der entscheidende Punkt ist damit weiterhin offen. Weil sich Atomkraftwerke leichter in das bisherige Stromnetz integrieren lassen, das stark auf die Stromproduktion weniger Grossanlagen ausgerichtet wurde, könnten sie sich volkswirtschaftlich immer noch lohnen.
Ausgehend von den hohen Kosten argumentieren die Autoren, dass sich ein Atomkraftwerk ohne staatliche Unterstützung kaum finanzieren lasse. Es ist ein Befund, der längst allen klar sein sollte. Weltweit wurde noch nie ein Kernkraftwerk vollständig von privaten Investoren finanziert. In der Energiepolitik mischt der Staat ohnehin überall mit, er fördert auch andere Erzeugungstechnologien – allen voran die Erneuerbaren. Dass der Bund den Bau eines neuen Atomkraftwerks mittragen müsste, ist folgerichtig.
Verfahren lassen sich verschlankenAusführlich listen die Autoren zudem auf, welche Abstimmungen ein Projekt vor dem Baustart gewinnen müsste. Und selbst wenn das Stimmvolk einen Neubau wünsche, drohe eine jahrelange Hängepartie, schreiben sie warnend. Das Projekt brauche nämlich eine Rahmen-, eine Bau- und eine Betriebsbewilligung, gegen die jeweils Einsprachen erfolgen könnten.
Das sagt mehr über die Schweiz als über die Atomenergie aus. In einem Land, in dem schon Fussballstadien, Hochhäuser und Windräder verhindert werden, wird es immer Anwohner geben, die keinen neuen Reaktor in ihrer Nachbarschaft wollen.
Doch Bewilligungsverfahren lassen sich verschlanken, wie es Bundesrat Albert Rösti mit dem Beschleunigungserlass gerade für die Erneuerbaren vorantreibt. Und alles, was die Politik für die Erneuerbaren tut, könnte sie auch für Atomkraftwerke vorschlagen. Gestraffte Verfahren würden den Bau definitiv erleichtern.
Die Schweiz braucht massiv mehr StromDie Schweiz steht vor einer grossen Herausforderung: Sie braucht in den nächsten Jahrzehnten massiv mehr Strom, und dieser soll sauber sein.
Mit dem Energiegesetz gab das Stimmvolk vor, dass die Erneuerbaren es richten sollen. Doch verstrickt sich die Schweiz allem voran beim Ausbau bedeutender Wasserkraftwerke im politischen Klein-Klein. Viele Anlagen können doch nicht so schnell wie erhofft gebaut werden. Ob das reicht, damit die Schweiz auch künftig genug Strom hat? Es braucht eindeutig mehr Tempo, sonst droht die Energiewende zu scheitern.
Dann müsste sich die Schweiz einer unbequemen Wahl stellen: Entweder baut sie dreckige Gaskraftwerke oder saubere Atomanlagen. Es ist richtig, dass der Bundesrat vorspurt, indem er das Neubauverbot aufheben will. Die Atomdebatte ist nötig, und sie kommt genau zur richtigen Zeit.
nzz.ch