US Open: Naomi Osaka gegen Coco Gauff: Große Schwester, kleine Schwester

Billie Jean Bling, Arthur Flash und La-Billie-Bu haben nun also ihre eigenen Akkreditierungen für die US Open; und warum nicht? Die Plüschfiguren von Naomi Osaka sind die Stars in New York; die japanische Tennisspielerin hatte bislang bei ihren Auftritten jeweils ein Labubu passend zum Outfit dabei. Das von Samstag (La-Billie-Bu) gab sie später Billie Jean King, die Tennislegende hatte sich eines gewünscht. In Deutschland kommt der Labubu-Hype gerade erst an; in New York wird man fünfzigmal am Tag angesprochen, wenn man eins an der Tasche baumeln hat.
Klar, kann man auch komplett bescheuert finden; letztlich ist das die Geschichte von Osaka. Die 27-Jährige ist eine sehr gute Spielerin, fit – und in Bestform ist die viermalige Grand-Slam-Siegerin kaum aufzuhalten, wie am Samstag die an 15 gesetzte Australierin Daria Kasatkina erfuhr: 6:0 hieß es nach nur 23 Minuten. Wenn Osaka aber zu wackeln beginnt, dann so, als gäbe es ein Erdbeben der Stärke 8,0. Wie im zweiten Satz, als sie komplett die Kontrolle verlor und später sagte: „Ich habe ordentlich zu zittern begonnen, weil ich mich so reingesteigert habe; aber das ist ja unterhaltsam, hoffentlich.“ Im dritten Durchgang sei sie wieder selbstbewusst und unaufhaltsam gewesen, „weil die Leute so mitgingen“. Zwischen Wohlfühlen und Verzweifeln liegt oft nur ein Ballwechsel, manchmal sogar nur ein Schlag bei Osaka.
Im Achtelfinale, ihrem ersten seit den Australian Open 2021, trifft die zweimalige US-Open-Siegerin (2018, 2022) auf Coco Gauff, die US-Open-Gewinnerin 2023; und das zur besten Sendezeit am Nationalfeiertag Labor Day.

Gauff steht in der Gunst der New Yorker noch ein wenig höher als Billie Jean Bling, Arthur Flash und La-Billie-Bu; damit ist man schon bei der Geschichte dieser Partie: Sowohl Gauff als auch Osaka sind nicht nur Tennisprofis, sondern Marken der Entertainmentsparte Profisport. Sie führen Kleider ihrer Sponsoren vor; sie sollen sich zu gesellschaftlichen Themen wie Rassismus äußern – in diesem Jahr ist es 75 Jahre her, dass die erste Person-of-Color-Teilnehmerin auf höchster Ebene aufschlug; das Plakat zeigt Silhouetten von Althea Gibson. Gauff und Osaka sollen unterhalten mit grandioser Leistung, aber bitte nicht mit 6:0, 6:0-Langweilern. Deshalb werden beide stets ins grellste Licht gerückt für maximales Drama: die Tränen von Gauff während der Zweitrunden-Partie nach Doppelfehlern wegen, wie sie danach sagte, „dem Druck und allem, was mir bei dem Turnier auferlegt wird – mehr als sonst; und mehr, als ich erwartet hatte“.
Osaka kennt das alles längst. Ihr US-Open-Triumph 2018 gegen Serena Williams im Finale war ein emotionaler Flug zum Mars und wieder zurück. Immer wieder spricht sie seitdem bewegt über die negativen Aspekte ihres Berufs; erst vor zwei Wochen erlebte sie im Finale von Montreal einen Komplettriss des Nervenkostüms und ließ sich tief in die Seele blicken. Als Beobachter stellte man sich wiederholt die Frage: Sollte sie nicht etwas anderes anfangen mit ihrem Leben, wenn das alles zu belastend ist? „Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich auf dem Platz eine andere Person bin“, sagte Osaka selbst am Samstag.
So einfach ist es nicht. Erkenntnis der kürzlich erschienenen Studie der Sportpsychologin Amanda Visek über Tennis: Eine der größten Freuden besteht für Aktive darin, die mentalen Aspekte zu meistern – und die positiven Aspekte haben nicht so viel mit Triumphen oder Preisgeldern zu tun; bedeutsamer sind: Jubel der Zuschauer, Respekt der Kollegen, Anerkennung durch Freunde und Trainer. Das Problem ist: All das erlebt man nur, solange man dabei ist, so wie Osaka Outfits und Labubus nur so lange vorführen darf, wie sie im Turnier ist.
Ihre Fröhlichkeit hat Osaka zweifellos wiedergefundenDas Duell von Gauff und Osaka ist in jedem Fall kein gewöhnliches. Beide wissen genau, wie es der jeweils anderen gerade geht, und sie wissen auch, was ein Turnier wie die US Open mit einem anstellen kann. Osaka bezeichnete Gauff nun gar als „meine kleine Schwester“; unvergessen der Moment bei den US Open 2019, als Osaka die damals 15 Jahre alte regelrecht verprügelt hatte – und ihr noch auf dem Platz sagte, dass sie sich der Tränen nicht schämen, sondern vielmehr gemeinsam mit ihr ein Interview geben solle. Folge für beide: Jubel der Zuschauer, Respekt der Kollegen, Anerkennung durch Freunde und Trainer; was man sich eben wünscht als Sportler.
Noch eine Gemeinsamkeit: Beide haben kurz vor dem Turnier den Trainer getauscht, Gauff für die Aufschlagtechnik, Osaka für mehr Freude beim Spiel. Bei beiden funktioniert bisher nicht alles, aber sie haben sich ins Achtelfinale gekämpft. Gauff sagte, es gehe „aufwärts“ mit ihrem Aufschlag; Osaka erklärte, dass ihr Coach Tomasz Wiktorowski, der sie zu Beginn der Partnerschaft eher eingeschüchtert habe, über „ein freundliches Lächeln“ verfüge und es tatsächlich häufig einsetze. Ihre Fröhlichkeit hat Osaka zweifellos wiedergefunden. „Kann bitte wer kommen und mich anfeuern?“, bat sie am Samstag amüsiert.
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