RB Leipzig: Dem Nebenpapst gefällt’s

Jürgen Klopp, 58, riss es auf der VIP-Tribüne des Leipziger Stadions aus dem blendend gepolsterten Sessel, und niemand konnte es ihm verdenken. Mehr noch: Er hätte sich, ob der Tragweite und der Ästhetik dessen, was sich da abspielte, auch die New-York-Yankees-Baseball-Kappe vom getunten Schopf reißen können: Rômulo, 23, vor gut zehn Tagen als Stürmer von RB Leipzig verpflichtet, hatte in Ridle Baku, 27, einen Remus gefunden, und das führte zu einem äußerst sehenswerten Tor.
Baku drang fast bis zur Grundlinie vor, passte eigentlich in den Rücken von Rômulo. Doch der verlängerte den Ball mit der Ferse ins Tor des 1. FC Heidenheim, auf ähnliche Weise wie Rabah Madjer (FC Porto) im Jahre 1987 n. Chr. gegen den FC Bayern in einem Landesmeisterpokal-Finale. Rômulos Treffer bedeutete nicht nur, dass RB Leipzig das 2:0 (78.) gegen den 1. FC Heidenheim sicherstellte. Sondern dass sich die Debatten aus der Vorwoche beruhigten, die nach der 0:6-Saisonauftaktpleite der Leipziger beim FC Bayern entstanden waren.
Der nunmehr begeisterte (und vielleicht auch: erleichterte) Klopp hatte durch eine außerplanmäßige Visite den Eindruck erweckt, seine Rolle als „Head of Global Soccer“ im RB-Reich als Nebenpapst der Leipziger Filiale zu verstehen. „Er war vor Ort“ und „hat mit dem Mannschaftsrat gesprochen“, verriet Christoph Baumgartner, 26, der Schütze des großartigen und wichtigen 1:0 (48.), am Samstag.
Das wäre vielleicht nicht weiter der Erwähnung wert, wäre Baumgartner nicht selbst Teil des Rates. Und wüsste man nicht, wie massiv sich die Propaganda-Abteilung von RB – in Leipzig und in Fuschl/Österreich – dagegen verwahrte, Klopp habe mit dem Mannschaftsrat getagt. Das sei „falsch“, wurde über offizielle Kanäle mitgeteilt.
Hintergrund war, dass diese Sitzung ohne den gerade installierten Trainer Ole Werner, 37, stattgefunden hatte. Dass Klopp sich mit Führungskräften getroffen hatte, wurde von RB bestätigt; kolportiert wurde überdies, dass er sich auch mit ein paar Sorgenkindern zu Einzelgesprächen gebeten hatte. Namentlich mit Xavi Simons, 22, der am Samstag zu Tottenham Hotspur wechselte, sowie Loïs Openda, 25, der am Samstag – angeblich aus taktischen Erwägungen – lange auf der Bank saß und angeblich ebenfalls noch gern den Verein verlassen würde.
Dass Simons zuletzt häufig als eine Art Abszess empfunden wurde, dürfte erklären, warum Leipzig bei einer Ablösesumme von angeblich 60 Millionen Euro einschlug, obschon eigentlich Einnahmen von 70 Millionen Euro budgetiert waren. Gleichwohl wurde Simons nichts Arges, sondern bloß hinterhergeflötet, dass er sich in Leipzig zu einem der besten Offensivspieler Europas entwickelt habe. So bekundete es Sportgeschäftsführer Marcel Schäfer. Sportlich wurde Simons hinter den Spitzen von Baumgartner ersetzt, und der Österreicher tat das so gut, dass er nach dem Sieg gegen Heidenheim von Trainer Werner als „sehr, sehr schlauer Spieler“ und „guter Charakter, der in der Mannschaft Verantwortung übernimmt“, gelobt wurde.
Konkurrenz sei prinzipiell „immer gut“, erklärte wiederum Baumgartner: „Aber klar merkst du, wenn ein Spieler geht, der eine feste Größe auf der Position war und du dann ein Stück weit mehr vielleicht auch von der Mannschaft gebraucht wirst. Das gibt dir ein gutes Gefühl.“
In Halbzeit eins tat sich Leipzig sehr schwer, fremdelte mit dem System nach der Idee von Jürgen KloppBaumgartners grundsätzlicher Erwägung, in Leipzig zu verweilen, dürfte Simons Abschied alles andere als abträglich gewesen sein. Auch Baumgartner ist unter den Spielern, denen britische Pfundnoten unter die Nase gehalten werden, im Gegensatz zu Simons und Benjamin Sesko (Manchester United) hat er der Verlockung widerstanden. „Ich bin ein glücklicher Spieler von RB Leipzig“ und „hier am richtigen Ort“, sagte Baumgartner. Er freue sich, dass das Team „heute gerade in puncto Energie und Teamgefüge einen riesigen Schritt gemacht“ habe. „Man hatte das Gefühl, dass elf Jungs auf dem Platz stehen, die füreinander spielen.“

Das heißt nicht, dass alles Gold gewesen wäre: In der ersten Halbzeit tat sich RB Leipzig denkbar schwer. Phasenweise musste man den Eindruck bekommen, dass die Mannschaft mit dem System fremdelt, das den Vorschlägen von Klopp entspricht. Torwart Peter Gulacsi, 35, hielt Leipzig in der ersten Halbzeit bei Großchancen der Heidenheimer zweimal mit fantastischen Reflexen im Spiel; nach der Pause verhinderte der Ungar beim Stand von 0:1, dass Sirlod Conteh, 29, es fast seinem drei Jahre jüngeren Bruder Chris gleichgetan hätte. Im Pokalspiel gegen den VfB Stuttgart hatte Chris Conteh für Eintracht Braunschweig einen jener Ausgleichstreffer erzielt, die schließlich das Elfmeterschießen heraufbeschworen, das der VfB gewann.
Aber: Es blieb bei der von Rômulo ausgebauten Führung; der ivorische Zugang Yan Diomande, 18, scheiterte beim Versuch, das 3:0 zu schießen. „Das war ein Arbeitssieg, aber ein verdienter Arbeitssieg“, resümierte Trainer Werner. Auch der neue Kapitän David Raum, 27, freute sich darüber. Er kündigte per Mikrofon an, 1000 Liter Freibier springen lassen zu wollen, was auf Großzügigkeit schließen lässt. Der Bierpreis im Stadion liegt in Leipzig bei 10,60 Euro pro Liter – und damit laut einer Erhebung der Augsburger Allgemeinen im gehobenen Mittelfeld der Liga.
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