Der Krieg in Nahost erreicht den Radsport: Am Team Israel Premier Tech entzündet sich an der Vuelta die Wut der Demonstranten


Der Sport ist nicht abgekoppelt von der weltpolitischen Lage. Das erfährt dieser Tage auch die Spanienrundfahrt. In Bilbao blockierten am Mittwoch Tausende Demonstranten den Kurs der elften Etappe der Vuelta. Eigentlich war diese als ein Radsportfest geplant. Baskische Fans sind bekannt für ihre leidenschaftlichen Anfeuerungen.
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Die Farben der Ikurriña, der baskischen Flagge, tauchten dann auch zahlreich auf, allerdings in ungewohnter Kombination. Zum Rot, Grün und Weiss der Basken gesellte sich noch das Schwarz – es wehten mehrere hundert teilweise riesige Palästina-Flaggen neben der Zielgeraden.
Die Sprechchöre, die «Freiheit für Palästina» forderten und Israel des Völkermords in Gaza anklagten, übertönten auch die Ansagen des Speakers, obwohl Letztere elektrisch verstärkt waren.
Demonstranten durchbrechen die AbsperrungenSie waren so viele und fanden zu solch kollektiver Kraft, dass sie bei einer ersten Zieldurchfahrt in Bilbao teilweise die Absperrungen durchbrachen. «Wir hatten etwas Angst, die Demonstranten standen ja auf der Fahrbahn, und wir wussten nicht, was noch passieren würde», sagte der spanische Cofidis-Profi Jesús Herrada. Polizisten hielten die Protestierenden zwar auf, indem sie eine schützende Gasse bildeten, durch die das Peloton fahren konnte.
Es schien auch, als wäre der Respekt vor den Fahrern gross genug, dass sie nicht physisch angegriffen würden. Aber garantieren konnte das in diesem Moment wohl niemand. Deshalb sagten die Veranstalter die zweite und finale Zieldurchfahrt ab. Es gab keinen Kampf um den Tagessieg. Auch die Trikotträger wurden nicht geehrt.
«Es war die richtige Entscheidung. Die Veranstalter machen einen guten Job», sagte der in der Schweiz lebende deutsche Radprofi Maximilian Schachmann. Der gebürtige Berliner zog aber auch eine sarkastische Schlussfolgerung: «Man guckt jetzt nicht nur nach Verkehrsinseln und nach der Rennsituation, sondern auch nach Barrikaden auf der Strasse.»
Die Proteste entzündeten sich an der Teilnahme des israelischen Teams Israel Premier Tech an der Rundfahrt. Die Mannschaft wurde vor fünf Jahren als Israel Start-Up Nation ins Leben gerufen. Der Besitzer und Geldgeber Sylvan Adams bezeichnete das Team als Botschafter für ein gutes Israel, für die einzige Demokratie im Nahen Osten und dessen pluralistische Gesellschaft.
Doch der Krieg in Nahost hat die Situation verändert. Das betrifft das Ansehen des Landes in der gesamten Welt. Und es betrifft auch das Veloteam, das Israel weiter im Namen trägt. Schon an der Tour de France konnte das Team nur dank einem speziellen Polizeischutz teilnehmen. Auch an der Vuelta sind immer Polizisten nah am Bus und begleiten ihn bis zum Hotel.
Unter dem Druck der Proteste hat die Equipe selbst das Aussehen verändert. Der Schriftzug «Israel» wurde von den Fahrzeugen entfernt. Die Fahrer bleiben auch der offiziellen Teampräsentation fern. Sie schreiben sich irgendwo, fernab der Öffentlichkeit, in das Rennen ein. Das Ziel ist offensichtlich: Israel Premier Tech will so wenig Angriffspunkte wie möglich bieten.
Die Vuelta-Organisatoren stecken in einer ZwickmühleEin Motor der Proteste ist in Spanien die Partei Izquierda Unida (Vereinigte Linke). Sie forderte schon zu Beginn der Vuelta in einer Parlamentsdebatte den Ausschluss des israelischen Teams. Sie begründete dies einerseits mit den Vorgängen in Gaza, andererseits mit der Tatsache, dass einige Grosssponsoren der Vuelta mit öffentlichen Mitteln gefördert werden.
Die Vuelta-Organisatoren indes sehen sich in einer Zwickmühle. «Wir folgen den Regularien der UCI. Und diese sehen vor, dass wir Israel Premier Tech die Teilnahme garantieren müssen», sagte der Technische Direktor der Vuelta, Kiko Garcia. Die UCI betonte die politische Neutralität des Sports. Und Israel Premier Tech selbst sieht in einem Rückzug, der hier und da auch bei der Vuelta Fürsprecher findet, einen «gefährlichen Präzedenzfall». Das Team wird trotz dem Eklat in Bilbao weiterfahren.
Die Situation ist verzwickt. «Ich denke, es ist völlig legitim und gut, Flagge zu zeigen. Aber es geht auch darum, es friedlich und ohne Hass auf welche Menschen auch immer zu tun», sagte Schachmann, der als Fahrer von Quick Step nicht betroffen ist. An die Adresse der Demonstranten sagte er: «Am Ende hilft Hass in der Welt keinem. Er ist vielmehr Auslöser für viel Unmut, für viel Leid und Krieg.» Und er forderte die Politiker auf, diese politische Krise zu lösen.
Nach den Aufregungen am Mittwoch zog am Donnerstag aber Ruhe ein. In Laredo, dem Startort der zwölften Etappe, waren keine Demonstranten zu sehen. Der Car von Israel Premier Tech stand inmitten der anderen Teambusse. Ein Polizist, der Wache schob, gähnte gelangweilt.
Auch das Gerücht von den Morddrohungen ans Team, das sich nach einem Interview des Sportdirektors Oscar Guerrero in Windeseile verbreitet hatte, schien sich aufzulösen. «Ich weiss von keinem Fahrer, der eine solche Drohung erhalten hat, und auch von keiner Anzeige an die Polizei in einer solchen Angelegenheit», sagte eine Teamsprecherin.
Dennoch könnten die Proteste weitergehen. Die regionale Organisation der Vereinigten Linken in Kantabrien kündigte jedenfalls für die beiden Etappen, die in dieser Region stattfinden, weitere Aktionen an.
nzz.ch