Der Dealer will Erfolgsbeteiligung – wie Kriminelle in Kenya das Doping-Karussell ankurbeln

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Der Dealer will Erfolgsbeteiligung – wie Kriminelle in Kenya das Doping-Karussell ankurbeln

Der Dealer will Erfolgsbeteiligung – wie Kriminelle in Kenya das Doping-Karussell ankurbeln
Vorbereitung aufs Laufen in Kenya: Dopingmittel helfen, mehr und härter zu trainieren.

Sie wedeln nicht mit dem Checkbuch, sondern mit der Erfolgsspritze. «Für wenig Geld gebe ich dir die Adresse eines Arztes oder eines Apothekers, der dich mit EPO, Testosteron oder einem anderen Wundermittel versorgt.» Der Deal: Wenn Sportler dank Doping besser werden und Preisgelder erlaufen, verlangen die Kriminellen eine Erfolgsbeteiligung.

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Immer wieder werden aus Kenya Dopingfälle gemeldet, und in den Medien wird mit dem Finger auf internationale Trainer und Manager oder einheimische Funktionäre gezeigt. «Doch es gibt in diesem Land kein institutionelles, organisiertes Doping», sagt Thomas Capdevielle, der bei der Athletics Integrity Unit (AIU) für das Testprogramm verantwortlich ist. Die AIU ist eine unabhängige Institution, die seit 2017 unter anderem als Anti-Doping-Agentur für World Athletics arbeitet.

Schon 2018 hat die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) in einem Bericht festgehalten: «Die Dopingpraktiken kenyanischer Athleten sind unausgereift, opportunistisch und unkoordiniert.» Und dass sich der Betrug mit unerlaubten Substanzen in dem ostafrikanischen Land drastisch von den Strukturen unterscheide, die anderswo in der Welt aufgedeckt worden seien. Nicht bekannt war bisher, dass Kriminelle dabei eine Schlüsselrolle spielen. «Es funktioniert wie der Drogenhandel», sagt Capdevielle.

So einfach erhältlich wie in der Schweiz Cannabis

Brett Clothier, der Leiter der AIU, ergänzt, der Stoff, der schnell mache, sei für die Athleten so einfach erhältlich wie in Europa Cannabis für Jugendliche. Tagtäglich würden Typen sie ansprechen, bei ihnen zu Hause, am Rand der Leichtathletikanlagen und sogar in den Camps, die zu Dutzenden von Managern, Trainern oder Schuhfirmen betrieben werden.

Wenn Frauen des Dopings überführt würden, spielten oft auch ihre Ehemänner eine wichtige Rolle. «Wir sehen immer wieder, dass der Mann die Frau zum Dopen anhält, damit sie Geld ins Haus bringt», sagt Clothier. In dieser Beziehung hat ein dramatischer Wandel stattgefunden. Noch in den 1990er Jahren gab es kaum ostafrikanische Spitzenläuferinnen, Sally Barsosio war 1997 die erste Weltmeisterin aus Kenya. Es galt nicht als schicklich, dass Frauen herumrennen. Und heute werden sie von Männern als gedopte Goldesel missbraucht.

Sie trug dazu bei, dass die Frauen in ihrem Land vom Herd ins Sportstadion wechseln konnten: Sally Barsosio, Kenyas erste Weltmeisterin im Jahr 1997.

Dass so etwas funktionieren kann, erklärt sich aus dem ostafrikanischen Laufmythos und der Armut im Land. Die Kenyaner galten lange als natürlich talentiert und den Athleten von anderen Kontinenten überlegen. Es wurde sogar behauptet, sie hätten einen genetischen Vorteil. Ab den 1960er Jahren liessen sich zunächst Dutzende Männer und später auch Frauen von den Massen als Olympiasieger, Weltmeister, Weltrekordler feiern. Und alle wollen ihnen nacheifern.

Es muss ja nicht gleich ein Olympiasieg sein. Dank dem Laufboom in der Ersten Welt liegt das Geld auf der Strasse. Selbst an Hauseckenrennen kann man ein paar hundert Dollar verdienen, schon an kleinen Marathons ein paar tausend. Das ist viel Geld für Menschen aus einem Land, in dem 35 Prozent der Bevölkerung weniger als 1 Franken 50 pro Tag zur Verfügung haben.

Es gibt in Kenya Tausende Frauen und Männer, die über Stock und Stein heizen, in der Hoffnung, irgendwann Geld damit verdienen zu können. Bei einem Besuch der NZZ auf der Rundbahn in Eldoret im Jahr 2012 zeigte sich ein unglaubliches Bild: Hunderte wuselten dort durcheinander, Athleten der Weltklasse neben armen Seelen, die sich barfuss abmühten. Viele dieser Menschen sind nicht im Verband organisiert. Die Anti-Doping-Behörde Kenyas (Adak) ist nicht in der Lage, sie alle zu erfassen.

Für einmal sind die Eliteläufer unter sich: Training auf der Tartanbahn in Eldoret.

Thomas Capdevielle sagt, die Basis sei in Kenya völlig ausser Kontrolle. Und dopen sich Leute nach oben, so üben sie Druck auf die etablierten Sportlerinnen und Sportler aus, die beginnen, um ihre Pfründe zu fürchten. Dann kommt ein netter Mensch daher, der für Cash die richtigen Kontakte herstellt.

Es werden ja nicht nur aufstrebende Talente oder Verzweifelte aus der grossen Masse überführt. Regelmässig erwischt es Olympiasieger, Weltmeister, Gewinner der grössten Marathons. Jüngst wurde Ruth Chepngetich gesperrt, die im Herbst 2024 die Welt verblüfft hatte, als sie in Chicago als erste Frau den Marathon unter 2:10 Stunden lief.

Ruth Chepngetich läuft 2024 in Chicago als erste Frau den Marathon unter 2:10 Stunden. Jetzt ist sie gesperrt.

In so einem Land eine effektive Dopingbekämpfung aufzubauen, ist eine Herkulesaufgabe. Doch Capdevielle sagt: «Das Testing in Kenya ist heute das beste der Welt, besser als in Europa und Nordamerika.» Das ist möglich, weil die kenyanische Regierung, die Organisatoren grosser Strassenläufe und selbst die Schuhfirmen begriffen haben, wie schlecht es für das Image ist, wenn immer wieder Sieger aus dem Land der Läufer auffliegen. Es gibt inzwischen sogar Manager, die darum bitten, dass dubiose Läuferinnen oder Läufer aus ihrer Gruppe getestet werden.

Die kenyanische Regierung stellt jährlich 5 Millionen Dollar für die Tests zur Verfügung, dazu kommen 2,5 Millionen für den Betrieb der Adak. Wie ernst es den Politikern sei, zeige sich daran, dass sie nicht nur Geld sprächen, sondern sich auch darüber informierten, wie dieses am besten eingesetzt werde, sagt Clothier. Die Anti-Doping-Agentur Kenyas konnte deshalb die Zahl der überraschenden Kontrollen ausserhalb der Wettkämpfe von 400 auf 4000 pro Jahr steigern.

Im Fokus stehen dabei Athleten unterhalb des Top-Levels, denn um diese kümmert sich die AIU. Die kenyanische Agentur wurde allerdings vor ein paar Tagen von der Wada gerüffelt, weil sie deren Kodex nicht einhalte. Clothier sagt, das habe vor allem mit dem schnellen Wachstum zu tun. Er sei froh, dass man den Kenyanern auf die Finger schaue.

Brett Clothier, Leiter Athletics Integrity Unit, die unter anderem für die Dopingkontrollen in der Leichtathletik zuständig ist.

Die AIU testet die Athletinnen und Athleten der Weltklasse. Dafür bekommt sie auch Geld von den Organisatoren internationaler Strassenläufe. Wer zum Kreis der «Label Road Races» gehören will, muss einen fixen Betrag in den Topf für die Dopingbekämpfung einzahlen. Das sind weltweit 300 Rennen, die grössten geben jährlich 50 000 Dollar, die kleinsten 5000.

Finanziert wird das mit einem Anteil des Preisgeldes und Beiträgen von Athleten-Managern und Ausrüstern. Drei Millionen Dollar kommen so jährlich zusammen. Die AIU konnte mit diesen Mitteln einen eigenen Testing-Pool für Strassenläufer aufbauen, der rund 300 Namen umfasst. Das sind Athletinnen und Athleten auf der ganzen Welt, doch rund 90 Prozent kommen aus Ostafrika.

Inzwischen wenden sich auch Schuhfirmen direkt an die AIU. Die Schweizer von On fragten schon länger, ob es möglich sei, Athleten aus ihren Trainingsgruppen regelmässig zu kontrollieren. Gehörten diese keinem Testing-Pool an, übernahm On die Kosten. Jetzt baut das Unternehmen einen Trainingsstützpunkt in Kenya auf und hat die AIU von Anfang an einbezogen.

Die Jagd nach Dopern funktioniert in der Leichtathletik bestens. Die Methoden werden ständig optimiert, und ein Stab von Fahndern und Dopingexperten hilft dabei, den besten Zeitpunkt für einen überraschenden Test zu ermitteln. Derzeit sind weltweit gut 600 Athletinnen und Athleten gesperrt. 143 von ihnen stammen aus Kenya.

Das führt in der Öffentlichkeit zum Bild einer komplett verseuchten Sportart – mit dem grössten Seuchenherd in Kenya. Der Chef des Testings nimmt das mit einem Schulterzucken zur Kenntnis. «Unsere Aufgabe ist es, Betrüger zu überführen, und wir erfüllen sie so gut wie möglich», sagt Capdevielle. In dieser Aussage versteckt sich auch ein kleiner Seitenhieb gegen andere Sportarten. Sind sie tatsächlich weniger verschmutzt? Oder schaut man einfach weniger genau hin?

Thomas Capdevielle, Verantwortlicher für das Testprogramm bei der Athletics Integrity Unit.

Wobei das mit dem Hinschauen nicht so einfach ist. «Doping funktioniert heute nicht mehr so wie um die Jahrhundertwende», sagt Clothier. Damals flogen im Radsport das ganze Festina-Team, später etwa Lance Armstrong und Tyler Hamilton auf; in der Leichtathletik zum Beispiel Marion Jones oder Tim Montgomery. Von all diesen gefallenen Helden wurden ausgeklügelte Doping-Pläne gefunden, gemäss denen diverse Substanzen kombiniert wurden. Selbst im Wettkampf pushten sie sich mit Spritzen die Berge hinauf oder die Zielgerade hinunter.

Es brauchte spezialisierte Ärzte, um diese Pläne auszuarbeiten oder bei Bluttransfusionen zu helfen. Der Italiener Michele Ferrari, der Spanier Eufemiano Fuentes und der bei der Operation Aderlass aufgeflogene Deutsche Mark Schmidt galten als Meistermacher im weissen Kittel. «Das war einmal», sagt Clothier. Heute gehe es vor allem darum, mehr und intensiver zu trainieren und sich schneller zu erholen.

Manchmal ist schon nach zwölf Stunden nichts mehr nachweisbar

Dafür brauche es nur Mikrodosen des Blutdopingmittels EPO oder des männlichen Geschlechtshormons Testosteron. Das eine spritzt man in eine Bauchfalte, das andere lässt sich mit einem auf die Haut aufgeklebten Patch in den Organismus bringen. «Jeder Hausarzt oder Apotheker kann das», sagt Capdevielle. Setzt man die Mittel gezielt und niedrig dosiert ein, verschwinden sie sehr schnell wieder aus dem Körper. «Das Zeitfenster, in dem wir sie nachweisen können, liegt bei vierundzwanzig bis achtundzwanzig Stunden, manchmal sieht man schon nach zwölf Stunden nichts mehr», sagt der AIU-Testverantwortliche.

Wer will, kann sich am Strassenrand einer Gruppe anschliessen: Läuferinnen und Läufer in Iten, einem Städtchen im kenyanischen Hochland, das sich «Home of Champions» nennt.

Das hängt auch damit zusammen, dass die bahnbrechenden Neuerungen in der Dopinganalytik schon einige Jahre her sind. Der EPO-Test stammt aus dem Jahr 2000, der Blutpass von 2009 und der Nachweis von Langzeitmetaboliten von Anabolika von 2013. Alle Methoden wurden zwar verfeinert, aber die Athleten haben mit subtilerem Doping darauf reagiert.

Das führt zu den obengenannten kleinen Nachweisfenstern. Athleten müssen zwar stets in einem Computersystem eingeben, wann sie wo für einen Kontrolleur aufzufinden wären. «Die Topleute kontrollieren wir zwölfmal pro Jahr», sagt Capdevielle. Das ist einmal im Monat. Aber selbst wenn man noch so klug den Zeitpunkt sucht, an dem die Sportler dopen könnten, geht es letztlich nicht um Tage, sondern um Stunden. Für die Leute der AIU steht deshalb fest: «Wir brauchen noch mehr Tests.»

nzz.ch

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