Migrationswende à la Trump: Stößt Kanzler Merz schon jetzt an seine Grenzen?

Mit einem Donnerschlag wollte er starten – und schlitterte prompt in den ersten politischen Schlamassel: Kaum im Amt, ließ Kanzler Friedrich Merz am Mittwoch seinen Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) den ersten Schritt der angekündigten Migrationswende vollziehen. An den Grenzen werde ab sofort schärfer kontrolliert und rigoroser zurückgewiesen, verkündete der CSU-Mann das neue Signal der Härte.
Die Botschaft war klar: Deutschland macht die Grenzen zwar nicht vollends dicht, aber es wird für Asylsuchende noch schwerer, sie zu passieren. Eine Maßnahme, die viele Menschen in Deutschland befürworten. Doch statt Applaus hagelte es Kritik von den europäischen Partnern. In Warschau und Bern zeigte man sich irritiert, in Brüssel alarmiert. Noch größer wurde das Unverständnis, als ein Medienbericht kursierte, die Bundesregierung habe zur Rechtfertigung der Maßnahmen sogar eine „nationale Notlage“ ausgerufen – ein Begriff, der juristisch wie politisch hochbrisant ist.
Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Regierungssprecher Stefan Kornelius dementierte umgehend, von einem „Notstand“ könne keine Rede sein. Am Freitag dann ein nächster Rückzug: Beim Antrittsbesuch in Brüssel bemühte sich Kanzler Merz um Schadensbegrenzung. „Einige Irritationen“ habe es gegeben, räumte er ein – doch alles geschehe „im Einklang mit europäischem Recht“.

Merz hatte im Wahlkampf eines unmissverständlich klargemacht: Die irreguläre Migration solle gestoppt werden – zur Not im nationalen Alleingang. An Tag eins seiner Kanzlerschaft machte er dann Ernst. Per Richtlinienkompetenz wies er Innenminister Dobrindt an, umgehend schärfere Grenzkontrollen zu verhängen. Wer ohne gültige Dokumente einreise – auch mit Schutzstatus –, solle abgewiesen werden. Kinder, Schwangere und andere vulnerable Gruppen bilden die Ausnahme.
Merz setzte das um, was er im Wahlkampf versprochen hatte. Statt Debatten im Bundestag gibt es nun Ansagen aus dem Kanzleramt. Die Methode erinnert ein wenig an den Politikstil von Donald Trump. Auch der setzte in seiner Amtszeit bevorzugt auf Erlasse, „Executive Orders“, um politische Stärke zu demonstrieren und sich lästige parlamentarische Prozeduren zu ersparen. Der Kanzler kopiert damit nicht nur den Tonfall eines entschlossenen Machers, sondern auch das politische Werkzeug seiner US-amerikanischen Vorlage: Regierung per Dekret, notfalls gegen den Widerstand der eigenen Partner. Doch aktuell erntet Merz viel Gegenwind und die Einsicht, dass es ganz so einfach nicht ist.
Politik oder Notlage: Darauf beruft sich die RegierungUm mehr Menschen an der deutschen Grenze zurückzuweisen – auch Asylsuchende – beruft sich der CSU-Minister Dobrindt auf eine besondere EU-Klausel: Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dieser erlaubt es, in bestimmten Situationen vom europäischen Recht abzuweichen – etwa zum Schutz der inneren Sicherheit. Um das schärfere Vorgehen ausführen zu können, sei „Paragraf 18 der einschlägige im Asylgesetz, den wir nutzen im Zusammenhang mit bilateralen Verträgen und auch in Verbindung mit Artikel 72“, sagte Dobrindt am Donnerstagabend in der ZDF-Talkshow von Maybrit Illner.

Damit deutete er an, dass Deutschland auf diese Ausnahmeregelung zurückgreifen könnte, um Zurückweisungen rechtlich abzusichern. Bereits im vergangenen Jahr hatten CDU und CSU gefordert, Artikel 72 zu nutzen. Ziel war es, „umfassende Zurückweisungen“ zu ermöglichen – also Menschen an der Grenze abzuweisen, auch wenn sie Asyl beantragen wollen. Juristen zufolge setzt die Anwendung von Paragraf 18, Absatz 2 des Asylgesetzes die Anwendung von EU-Artikel 72 voraus.
Gleichzeitig widersprach die Bundesregierung Berichten über eine mögliche Verschärfung der Lage. Die Zeitung Welt hatte gemeldet, Kanzler Friedrich Merz (CDU) wolle einen „nationalen Notstand“ erklären, um die Maßnahmen rechtlich abzusichern. Regierungssprecher Stefan Kornelius stellte klar: „Der Bundeskanzler setzt keinen nationalen Notstand in Kraft.“ Dobrindt beschwichtigte in der Talkrunde ebenfalls, dass das deutsche Asylgesetz die Grundlage für das Vorgehen bleibe. „Natürlich“ sei aber „alles europäisch eingebunden“. Man sei mit den zuständigen Stellen in der EU „im engstem Austausch“, so Dobrindt. Die Zurückweisungen sollten so erfolgen, dass die Nachbarländer nicht überfordert würden. Wie das konkret aussieht, ist unklar. Das Bundesinnenministerium ließ eine Anfrage der Berliner Zeitung bislang unbeantwortet.
Heikler Start der Regierung: Merz muss in Brüssel alles relativierenDoch während eine Mehrheit der Deutschen die Pläne unterstützen würden, kommt der Vorschlag bei den Nachbarländern nicht gut an – das bekam der Kanzler prompt zu spüren. Die polnische Regierung sprach von „unkoordinierten Alleingängen“. Premier Donald Tusk stellte klar: Polen werde keine Flüchtlinge aus Deutschland aufnehmen. Der polnische Premier weiter über die innenpolitische Lage in Deutschland: „Die AfD, das ist Ihr Problem, Herr Bundeskanzler.“
Die Schweiz kritisiert die strengeren Regeln für Migranten an den deutschen Landesgrenzen sogar als rechtswidrig. „Systematische Zurückweisungen an der Grenze verstoßen aus Sicht der Schweiz gegen geltendes Recht“, schrieb das Schweizer Justizministerium auf X. In Österreich fiel die Reaktion auf Dobrindt-Pläne zur Migration entspannter aus. „Die verstärkten Bemühungen in Deutschland im Kampf gegen Schlepperkriminalität und illegale Migration“ würden gar „begrüßt“, hieß es.

In Brüssel war man indes wenig amüsiert. Und so schlug der Kanzler am Freitag versöhnliche Töne an. Bei seinem Antrittsbesuch bei der EU-Kommission in Brüssel betonte Merz, man habe keineswegs eine „Notlage“ erklärt, um damit eine Dauer-Grenzkontrolle zu rechtfertigen. Vergessen war die Notstandsrhetorik und Alleingänge, stattdessen: „volle Information“ gegenüber der Nachbarländer – und alles „im Einklang mit europäischem Recht“.
Und nun? Laut Bundespolizei werden die Grenzen seit Mittwoch verstärkt kontrolliert. Man habe Personal aufgestockt, hieß es. Ein Sprecher der Bundespolizei in Bayern beispielsweise bestätigte, dass bei den Grenzkontrollen wie von Dobrindt angekündigt vorgegangen werde: „Zurückgewiesen werden ab sofort auch Personen, die ein Schutzersuchen vorbringen, bei denen die Voraussetzungen für eine Einreise aber nicht vorliegen.“ Vulnerable Gruppen wie Schwangere und Kleinkinder würden weiter an Erstaufnahmeeinrichtungen weitergeleitet.
Berliner-zeitung