Wie Verlustangst Beziehungen beeinflussen kann

Verlustangst: Wenn die Furcht vor dem Alleinsein Beziehungen überschattet.
Die Angst, jemanden zu verlieren, ist ein universelles Gefühl. Doch bei manchen Menschen nimmt sie so viel Raum ein, dass sie Partnerschaften, Freundschaften und sogar das eigene Selbstwertgefühl überschattet. Die Paarpsychologin Anouk Algermissen erklärt, wie Verlustangst entsteht, wie sie wirkt und warum es Hoffnung auf Veränderung gibt.
Wo beginnt überhaupt Verlustangst?
Verlustangst sei, so Algermissen, "ein intensives Gefühl, Liebe und Beziehung zu verlieren. Das Bindungssystem schlägt Alarm und reagiert, als ginge es um alles. Schon eine verspätete Nachricht oder eine veränderte Stimmung können genügen, um dieses Gefühl auszulösen." Manche suchen dann verzweifelt Nähe, andere reagieren mit Wut. Beides sind letztlich Schutzmechanismen gegen dieselbe innere Bedrohung. "Auch Eifersucht ist häufig nichts anderes als der Versuch, Nähe festzuhalten, die sich plötzlich unsicher anfühlt."
Der Ursprung der Verlustangst
Die Wurzeln liegen oft in der Kindheit. Wer erlebt hat, dass Zuwendung unzuverlässig war, trägt häufig den Glaubenssatz in sich: Ich kann mir Nähe nicht sicher sein, ich muss darum kämpfen. Später können Erfahrungen wie die Scheidung der Eltern, Vertrauensbrüche oder eine Affäre diese Überzeugung festigen. "Besonders ängstlich gebundene Menschen oder solche mit brüchigem Selbstwert erleben die Bedrohung des Verlassenwerdens als besonders stark", so Algermissen.
Warnsignale im Alltag
Wie sich eine wirkliche Verlustangst äußere, sei unterschiedlich. Typisch sei aber die ständige Sorge, nicht genug zu sein. Viele vergleichen sich mit anderen, analysieren jede kleine Geste des:der Partner:in oder geraten ins Grübeln, sobald die Stimmung kippt. Verlustangst macht aber auch vor anderen Lebensbereichen nicht halt. "Hinter Perfektionismus oder dem Drang, es allen recht zu machen, steckt oft die stille Hoffnung, dadurch unersetzlich zu werden und so nicht verlassen zu werden."
Von außen wirken Betroffene oft klammernd oder kontrollierend. Laut Algermissen stecke dahinter aber einfach die Verzweiflung. Schon kleine Veränderungen können Katastrophenszenarien auslösen: "Man denkt: Vielleicht ist der andere enttäuscht, hat genug von mir, findet mich nicht mehr spannend und ist deshalb schon halb weg." Diese inneren Bilder fühlen sich real an.
Wenn Selbstwert fehlt
Der eigene Selbstwert spielt eine große Rolle beim Thema Verlustangst: "Wer tief in sich glaubt, nicht genug zu sein, lebt ständig mit der Sorge, dass andere irgendwann gehen", erklärt die Psychologin. Viele versuchen deshalb, alles richtig zu machen. "Doch dieser Wettlauf um Liebe erschöpft und entfernt eher von echter Nähe."
Denn Verlustangst legt sich wie ein unsichtbarer Filter über Beziehungen. Statt Zweisamkeit einfach zu genießen, wird sie pausenlos überprüft. Häufig entsteht ein Kreislauf: Einer sucht verzweifelt Bestätigung, während der andere sich eingeengt fühlt und auf Distanz geht.
vogue