Hermannstadt: Theaterfest im Schatten von Krieg und Gewalt

Wie jedes Jahr verwandelte sich auch 2025 die rumänische Stadt Hermannstadt (Sibiu) im Juli für zehn Tage in eine riesige Bühne für Kunst und Theater. Das inzwischen schon traditionsreiche Theaterfestival bot nicht nur hochkarätige Theater- Musik- und Tanzaufführungen, sondern auch Ausstellungen, Lesungen, Kino, Konferenzen und Podiumsdiskussionen. So entstand ein reger Austausch zwischen den Künstlern, zwischen Künstlern und Publikum, aber auch unter den Zuschauern.
Sowohl in den Darbietungen als auch in den Gesprächen ging es in diesem Jahr auch um die aktuelle Weltlage, um Konflikte und politischen Extremismus. Der Krieg im Nachbarland Ukraine ist nicht weit weg. Und politischen Extremismus hat Rumänien im zurückliegenden Präsidentschaftswahlkampf selbst erlebt.
Vom Irak bis SiebenbürgenDem Thema Krieg und Gewalt widmete sich besonders das neue Stück "Die Seherin" des Schweizer Regisseurs Milo Rau, eine Produktion der Berliner Schaubühne. Es erzählt die Geschichte einer sehr erfolgreichen Kriegsfotografin, grandios gespielt von Ursina Lardi. Die Fotografin sucht immer wieder neue Kriegsschauplätze und Orte des Grauens auf, um die eigene Sensationslust und vor allem die ihres Publikums zu stillen. Und um mit ihren Fotos Geld zu verdienen. In dem Stück wird auch die Geschichte eines irakischen Lehrers erzählt, dem vom IS-Regime als Strafe eine Hand abgehackt wurde. Inspiriert ist "Die Seherin" von Sophokles' Figur Philoktet, die aufgrund einer Verletzung alles verliert und aus der Gesellschaft verbannt wird.

Nach Hermannstadt kamen auch Helgard Haug und Daniel Wetzel, Mitgründer der renommierten Theatergruppe Rimini Protokoll, mit "Futur4" im Gepäck. Das Stück, das am Staatstheater Wiesbaden uraufgeführt wurde, ist als Koproduktion mit mehreren Theatern und Kulturträgern wie dem Theaterfestival von Hermannstadt und dem Goethe-Institut Bukarest entstanden. Es behandelt die Geschichte der Siebenbürger Sachsen, einer deutschen Minderheit, die mehr als 800 Jahre in Rumänien lebte und das Gesicht der Region Transsylvanien prägte. Unter dem Ceausescu-Regime und nach dessen Sturz wanderten fast alle Siebenbürger Sachsen in die Bundesrepublik Deutschland aus.
Ein Schauspiel mit Bot und KIAuch die Teenagerin Ursula Gärtner träumt im siebenbürgischen Kronstadt (Brasov) von ihrem "Freikauf" durch den deutschen Staat, von einer bunten, heilen Welt in der BRD, so wie es die "schönen" Frauen und Männer in den Mode-Katalogen ausstrahlen, die Freunde und Verwandte bei ihren Besuchen in der alten Heimat mitbringen.
Dabei wird die Geschichte dieser deutschen Minderheit in Rumänien rückwärts, aber gleichzeitig auch vorwärts erzählt - und das zum Teil mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz. Was bleibt von einer bewegten Zeit über acht Jahrhunderte hinaus? Wie wird sie von den nächsten Generationen weitergetragen und gelebt?
Ursula Gärtners Sohn entstammt ihrer Ehe mit einem gebürtigen Kongolesen und ihre vor kurzem geborene Enkeltochter hat eine kurdische Mutter. Wird dieses Enkelkind später, wenn die Großmutter nicht mehr da ist, sich mittels künstlicher Intelligenz mit ihr unterhalten können?

Verantwortlich für dieses Experiment ist Computerlinguistin Xenia Klinge. Der von ihr ins Leben gerufene Ursula-Bot wird in dem Stück zu einem "gleichberechtigten, stark improvisierenden Protagonisten", so Helgard Haug gegenüber der DW. "Die KI ist total präsent in unserem Alltag - überall und überall stärker. Wir haben mit dem Stück versucht, das auch ein bisschen zu ergründen. Wie operiert die KI und wo müssen wir uns auch davon abgrenzen? Jede Aufführung ist anders, weil eben der Bot mitspielt."
Joachim Umlauf, Leiter des Goethe-Instituts Bukarest, ist von der Umsetzung begeistert: "Diese Geschichte Europas wird anders erzählt, mit Hilfe der KI und deren Instrumenten. Dadurch wird sie frisch, mit Fragezeichen versehen und bietet ganz neue Einsichten".
Aktuelle Themen auf der Bühne"Reflections on East-West Perspectives", eine performative Installation, die auch während des Festivals zu sehen war, erforscht ähnliche Themen: Welche Art von Erinnerung pflegen wir heute im Zusammenhang mit dieser jungen Vergangenheit, und wie beeinflusst diese unsere Fähigkeit, zeitgenössische Formen des Extremismus und der Informationsmanipulation zu erkennen? Kuratorin Roxana Lapadat hat Interviews geführt und zahlreiche Dokumente in deutschen und rumänischen Archiven, darunter der ehemaligen Securitate, studiert.

Politisch wurde es auch in der Inszenierung des autobiographischen Essays "Wer hat meinen Vater umgebracht?" des französischen Bestsellerautors Édouard Louis, eine Produktion des Metropolis-Theaters Bukarest. Darin ging es, wie in vielen seiner Texte, um eine verheerende Arbeitspolitik, um Gewalt, Homosexualität und soziale Ungerechtigkeit.
Lorcas "Bluthochzeit", von Regisseur Hunor Horvath an der Deutschen Abteilung des Hermannstädter Nationaltheaters inszeniert, spielte diesmal nicht in Spanien sondern im multiethnischen Siebenbürgen. Mit viel Schauspielkunst und Vitalität, Tanz und Musik brachte die Inszenierung diese Tragödie um Liebe, Rache, Eifersucht und Tod dem Publikum in Hermannstadt näher.
Transatlantische BeziehungenAuch 2025 fehlten die großen Schauspiellegenden aus Hollywood nicht: Kathleen Turner kam mit einem Stück von Gertrude Stein, das Begegnungen mit großen Künstlern während ihres Aufenthalts in Paris beschreibt. Bill Murray brachte zusammen mit dem deutschen Starcellisten Jan Vogler das Projekt "New Worlds" (Neue Welten) nach Hermannstadt.

Es handelt von bedeutenden Schriftstellern und Komponisten wie etwa Ernest Hemingway, Walt Whitman, Leonard Bernstein und George Gershwin, die mit ihren Werken die amerikanische Kultur stark geprägt haben, und nicht zuletzt von den Brücken, die diese Künstler zwischen Amerika und Europa gebaut haben. Damit verweist es auch auf den Stand der transatlantischen Beziehungen und knüpft an die aktuellen Debatten um Weltherrschaft and Autoritarismus an.
dw